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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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unterstand, sie in die Schlucht hinunterwerfen lasse. Nachum wollte die Leichenrede halten, aber da er sehr schwach war, verwirrten sich ihm die Worte, und statt über den kleinen Jannai Bar Alexas zu sprechen, sagte er, der Hauptmann Mannäus habe nun bereits siebenundvierzigtausendzweihundertdrei Leichen erledigt und somit siebenundvierzigtausendzweihundertdrei Sesterzien erhalten, dafür könne er auf der Börse beinahe zwei Scheffel Weizen kaufen.
      Alexas hockte auf der Erde und hielt die sieben Tage der Trauer. Er wiegte den Kopf, streichelte den schmutzigen Bart. Er hatte einiges bezahlt für die Liebe zu seinem Vater und zu seinen Brüdern.
      Als er sich zum erstenmal wieder durch die Stadt schleppte, war er erstaunt. Er hatte geglaubt, das Elend könne nicht größer werden, aber es war größer geworden. Früher war Jerusalem berühmt gewesen wegen seiner Reinlichkeit, jetzt lag über der ganzen Stadt ein wüster Gestank. In einzelnen Stadtquartieren sammelte man die Toten in öffentlichen Gebäuden, und wenn sie voll waren, dann sperrte man diese Gebäude zu. Noch beängstigender aber als der Gestank war die große Stille der sonst so lebendigen Stadt; denn jetzt hatten auch die Betriebsamsten die Lust zu sprechen verloren. Schweigend und stinkend, erfüllt von dicken Schwärmen Ungeziefers, lag die weiße Stadt in der Sommersonne.
      Auf den Dächern, in den Gassen sielten sich die Erschöpften herum mit trockenen Augen und weitgeöffneten Mündern. Viele waren krankhaft angeschwollen, andere zu Gerippen ausgedörrt. Die Fußtritte der Soldaten vermochten sie nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Sie lagen, die Verhungernden, herum, starrten nach dem Tempel, der drüben auf seinem Hügel weiß und golden in dem blauen Licht hing, warteten auf den Tod. Alexas sah eine Frau im Abfall wühlen, zusammen mit Hunden nach irgend etwas Genießbarem. Er kannte die Frau. Es war die alte Channa, die Witwe des Erzpriesters Anan. Einst mußten Teppiche vor ihr gebreitet werden, wenn sie auf die Straße ging; denn ihr Fuß war zu vornehm, den Staub des Weges zu treten.
      Und dann kam ein Tag, da saß auch Alexas, der Klügste der Menschen, stur und ohne Rat. Er hatte sein Versteck in der Unterwelt leer gefunden, andere hatten den Rest seiner Vorräte entdeckt.
      Als Nachum diese Unglücksbotschaft mühevoll aus seinem Sohn herausgequetscht hatte, saß er lange und dachte nach. Es war ein Verdienst, einen Toten zu bestatten; es war ein letztes Verdienst vor Jahve, sich selber zu bestatten, wenn das kein anderer besorgte. Nachum Ben Nachum beschloß, sich dieses letzte Verdienst zu erwerben. Wenn einer so ausschaute, als ob er nicht länger als höchstens noch einen oder zwei Tage zu leben hätte, dann ließen die Wachsoldaten ihn vor das Tor. Ihn werden sie passieren lassen. Er legte seine Hand auf den Scheitel seines Sohnes Alexas, der dumpf auf sein verlöschendes Weib stierte, und segnete ihn. Dann nahm er einen Spaten, das Geschäftsbuch, den Schlüssel der alten Glasbläserei, auch einige Myrtenreiser und Weihrauch und schleppte sich zum Südtor.
      Vor dem Südtor lag eine große Gebeinhöhle. Nach einer Ruhe nämlich von ungefähr einem Jahr, wenn der Leichnam bis auf die Knochen verwest war, pflegte man die Gebeine in sehr kleinen Steinsärgen zu sammeln und diese Särge in den Wänden von Höhlen übereinander und nebeneinander zu schichten. Auch über die Beinhöhle vor dem Südtor war nun freilich die Belagerung hinweggegangen und hatte sie zerstört, so daß sie nicht mehr sehr würdig herschaute, ein Haufen von zertrümmerten Steinplatten und Gebein. Aber immer noch blieb sie ein jüdischer Totenacker.
      Auf die gelblichweiße, besonnte Erde dieses Totenackers also hockte Nachum sich nieder. Um ihn her lagen andere Verhungernde, starrten nach dem Tempel. Manchmal sprachen sie: Höre, Israel, eins und ewig ist unser Gott Jahve. Manchmal dachten sie an die Soldaten, an die im Tempel, die Brot und Fischkonserven hatten, an die im römischen Lager, die Fett und Fleisch hatten, und dann vertrieb der Zorn auf eine ach nur sehr kurze Zeit den Hunger.
      Nachum war sehr matt, aber es war keine unangenehme Mattigkeit. Er freute sich an der heißen Sonne. Anfangs, als er noch Lehrling war, hatte es furchtbar weh getan, wenn er sich an der heißen Masse verbrannte. Jetzt war seine Haut daran gewöhnt. Es war unrecht von seinem Sohne Alexas, daß er die Arbeit mit der Hand ganz durch die

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