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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sie aßen, sie spaßten, sie tranken. Es war ein gutes Mahl, und es war das letzte.
      Die Nacht rückte vor. Sie wurden nachdenklicher, eine wilde, umschattete Heiterkeit lag über der großen Halle. Sie gedachten der Toten. »Wir haben nicht Linsen noch Eier«, sagte Johann von Gischala, »aber die zehn Becher der Trauer wollen wir trinken, und die Polster wollen wir umstürzen.« – »Es sind sehr viele Tote«, sagte Simon Bar Giora, »und es geziemte sich zu ihren Ehren ein besseres Mahl. Ich gedenke der toten Offiziere.« Es waren siebenundachtzig Offiziere gewesen, die römische Kriegskunst erlernt hatten, davon waren zweiundsiebzig gefallen. »Ihr Andenken sei gesegnet«, und sie tranken. »Ich gedenke des Erzpriesters Anan«, sagte Johann von Gischala. »Was er für die Mauer getan hat, war gut.« – »Er war ein Schuft«, sagte heftig Simon Bar Giora, »wir mußten ihn umbringen.« – »Wir mußten ihn umbringen«, gab Johann verträglich zu, »aber er war ein guter Mann. Sein Andenken sei zum Segen.« Und sie tranken.
      »Ich gedenke eines andern Toten«, sagte verbissen der Sekretär Amram. »Er war mein Jugendfreund und ein Hund. Er erlernte mit mir in einem Raum die Geheimnisse der Lehre. Sein Name ist Josef Ben Matthias. Sein Andenken sei nicht zum Frieden.«
      Er hatte einen Einfall, von dem er sich besonderen Spaß versprach. Zwinkernd verständigte er sich mit Simon und Johann, und sie ließen aus den Kerkern des Forts Phasael den Doktor und Herrn Matthias kommen, den Vater des Josef.
      Der alte, dürre Herr hatte lange, scheußliche Tage im Gestank eines dunkeln Verlieses gesessen, er war furchtbar erschöpft, aber er nahm sich zusammen. Er hatte Angst vor diesen wüsten Soldatenkerlen. Sie hatten so viele totgeschlagen, es war ein Wunder, daß sie ihn am Leben gelassen hatten, man mußte ihnen nach dem Mund reden. Er führte die schlotternde Hand an die Stirn, grüßte. »Was wollen Sie, meine Herren«, stammelte er, »von einem alten, wehrlosen Mann?«, und er blinzelte ins Licht und schnupperte wider seinen Willen nach den Speisen. »Es steht nicht gut, mein Doktor und Herr Matthias«, sagte Johann. »Wo wir jetzt sind, werden bald die Römer sein. Was wir mit Ihnen anfangen sollen, alter Herr, darüber sind wir uns noch nicht schlüssig. Ob wir Sie den Römern überlassen oder vorher totschlagen sollen.« Der Greis stand gekrümmt, stumm, zitternd.
      »Hören Sie«, sagte der Sekretär Amram, »die Lebensmittel sind knapp in der Stadt, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Wir haben kein Fleisch mehr, wir sind aufs Johannisbrot gekom men. Was Sie hier sehen, sind die Knochen der neun letzten Lämmer für den Brandopferaltar Jahves. Wir haben sie gegessen. Schauen Sie nicht so starr. Es hat uns geschmeckt. Sehen Sie ein Menetekel an der Wand? Ich nicht. Beim Beginn unseres Unternehmens stand Ihr Herr Sohn an unserer Seite. Er ist inzwischen abgeschwenkt. Es ziemt sich, daß am Ende Sie an unserer Seite stehen. Wir sind Leute von Lebensart. Wir laden Sie ein, an unserm letzten Mahl teilzunehmen. Es sind noch reichlich viele Knochen da, wie Sie sehen. Auch das Brot, mit dem wir das Fleisch von den Tellern genommen haben, steht zu Ihrer Verfügung.«
      »Ihr Herr Sohn ist ein Unflat gewesen«, sagte Johann von Gischala, und seine schlauen, grauen Augen waren zornig, »ein Wegwurf. Sie haben ein Stück Kot in die Welt gesetzt, mein Doktor und Herr Matthias, Priester der Ersten Reihe. Die Knochen und das Brot gebühren unsern Soldaten eher als Ihnen. Aber wir stehen zum Wort unseres Doktor Amram, wir laden Sie ein.« Simon Bar Giora war weniger höflich. Er bedrohte den Greis mit seinen finstern, engen Augen und herrschte ihn an: »Essen!«
      Der Alte zitterte stark. Er war unbändig stolz gewesen auf den Aufstieg seines Sohnes. Er selber hatte sich nie weit vorgewagt. Er begriff, ach, er begriff gut, daß Joseph später zu den Römern gegangen war. Aber diese Menschen begriffen es nicht, sie haßten seinen Sohn auf den Tod. Jetzt also soll er essen. Vielleicht soll das eine Probe sein, und wenn er jetzt aß, werden sie triumphieren und ihn verhöhnen und totschlagen, weil er seinen Rest Leben durch solchen Frevel zu bewahren sucht. Er war nach dem Moder und Gestank des lichtlosen Kerkers fast irr vor Hunger und Erschöpfung. Er sah die Knochen, es waren saftige Knochen, gefüllt mit Mark, von einjährigen, ausgesuchten Tieren, sicher konnte man die ganzen Knochen zerkauen und

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