Der jüdische Krieg.
den Linien des Ausschnitts, sie zeigten die Form von Menschenfüßen. Er begriff, die Soldaten hatten mit den Rollen nichts Besseres anzufangen gewußt, sie hatten sich Einlagsohlen für ihre Stiefel herausgeschnitten. Mechanisch rekonstruierte er die erste der fehlenden Stellen: »Drücke den Fremden nicht in deinem Lande und liege ihm nicht hart an; denn ein Fremder bist du gewesen im Lande Ägypten.«
Langsam sammelte Josef die zerfetzten Rollen auf, hob sie hoch, behutsam, führte sie ehrerbietig zur Stirn, zum Mund, wie der Brauch es verlangte, küßte sie. Er konnte sie nicht römischen Händen anvertrauen. Er trat hinaus auf die Straße, um Juden zu suchen, die sie ihm in sein Zelt brächten. Da sah er einen Zug heraufkommen, dem Ölberg zu, Gefangene offenbar, die man mit den Waffen in der Hand ergriffen hatte. Man hatte sie gegeißelt, hatte auf ihre zerpeitschten Nacken Querbalken gelegt, ihre ausgestreckten Arme daran gebunden. So schleppten sie jetzt selber das Holz, an dem sie sterben sollten, zur Richtstätte. Josef sah die ausgelöschten, verzerrten Gesichter. Er vergaß seine Aufgabe. Er befahl Halt, er wies dem Hauptmann, der den Zug geleitete, sein Täfelchen vor. Es waren noch zwanzig Leben, über die er zu verfügen hatte, die Gefangenen aber waren dreiundzwanzig. Zwanzig von ihnen wurde der Querbalken wieder abgenommen, sie stierten blöde, sie waren halbtot von der Geißelung, sie wußten nicht, was ihnen geschah. Statt der Kreuzbalken bekamen sie jetzt die Schriftrollen, und statt zum Ölberg ging es ins römische Lager zu Josefs Zelt. Es war eine sonderbare, von den Soldaten stürmisch belachte Prozession, wie da Josef durch die Stadt zog, sein goldenes Schreibzeug im Gürtel, in jedem Arm eine Schriftrolle tragend, zärtlich, als trüge er kleine Kinder, gefolgt von den gegeißelten, taumelnden Juden, die ihm die andern Rollen nachschleppten.
Titus hat den Weg bis Bethlehem sehr rasch zurückgelegt, zwischen Bethlehem und Thekoa verlangsamt er den Trab seines Pferdes. Die Aufgabe, die vor ihm liegt, ist schwierig. Sie heißt Berenike. Das Schlimmste ist, man kann nicht um sich schlagen, kann nichts tun. Man kann sich nur hinstellen und die Entscheidung der Frau abwarten. Man genügt ihr, oder man genügt ihr nicht.
Es geht jetzt steil aufwärts. Thekoa liegt auf einem Felsen, kahl und verlassen, dahinter liegt Wüste. Der Ortskommandant hat seine Leute zum Empfang des Feldherrn aufgestellt. Titus nimmt seine Meldung entgegen. Das ist also jener Hauptmann Valens, der den Hain hat fällen lassen. Ein Gesicht, nicht klug, nicht dumm, bieder, männlich. Der Mann hat den Befehl erhalten, den Hain zu schonen: er hat ihn geschont. Es ist seltsam, daß es Titus nicht gelingt, der Frau sein Wort zu halten.
Er steht vor ihrem Haus. Es liegt auf der höchsten Spitze des Felsens, klein, verwittert, erbaut seinerzeit für Makkabäerprinzen, die man in die Wüste schickte. Ja, von hier aus sieht man hinaus in die Wüste. Berenike ist trotz allem in die Wüste gegangen.
Ein Kerl erscheint vor dem Haus, schäbig angezogen, ohne Livree. Titus schickt ihn hinein, läßt der Prinzessin sagen, daß er da ist. Er hat ihr seine Ankunft nicht vorher mitgeteilt, vielleicht will sie ihn gar nicht sehen. Er wartet, ein Beklagter, auf den Richter. Es ist nicht, weil er den Tempel verbrannt hat. Nicht, was er getan hat, steht vor Gericht, vor Gericht steht sein Wesen, das, was er ist. Sein Gesicht, seine Haltung ist Anklage und Verteidigung zugleich. Da steht er, der Herr über hunderttausend ausgezeichnete Soldaten und zahlreiches Kriegsgerät, der Mann mit unbeschränkten Vollmachten für den Osten von Alexandrien bis an die indische Grenze, und sein ferneres Leben hängt davon ab, ob die Frau ja zu ihm sagt oder nein, und er ist hilflos, er kann nichts tun als abwarten.
Das Tor oben öffnet sich, sie kommt. Eigentlich ist es selbstverständlich, daß sie den Feldherrn, den Herrn des Landes, ehrenvoll empfängt, aber dem Titus ist es schon Erleichterung, daß sie da oben steht, daß sie da ist. Sie trägt ein einfaches Kleid, viereckig, aus einem Stück, wie es hier die Frauen des Landes tragen. Sie ist schön, sie ist königlich, sie ist die Frau. Titus steht und starrt hinauf zu ihr, besessen, demütig. Wartet. Berenike, in diesen Augenblicken, weiß, daß sie jetzt ein letztes Mal ihr Schicksal in der Hand hält. Sie hat vorausgesehen, daß der Mann einmal kommen wird, aber sie hat sich
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