Der jüdische Krieg.
nicht darauf bereitet, sie hat damit gerechnet, daß Gott, ihr Gott Jahve, sie im rechten Augenblick das Rechte werde tun lassen. Sie steht oben auf der Treppe, sie sieht den Mann, seine Gier, seine Besessenheit, seine Demut. Er hat immer wieder sein Wort gebrochen, er hat Gewalt an ihr getan, und er wird wieder Gewalt an ihr tun. Er ist besten Vorsatzes, aber er ist ein Barbar, der Sohn von Barbaren, und das ist stärker als seine Vorsätze. Nichts zwingt sie mehr, der Mann hat alles zerrissen, die Vergangenheit ist abgelebt. Sie muß, sie darf sich neu entscheiden. Bisher konnte sie sagen, es sei um des Tempels willen, daß sie zu Titus ging. Jetzt hat sie keinen Vorwand mehr, der Mann hat den Tempel niedergebrannt. Zu wem soll sie fortan gehören, zu den Juden oder zu den Römern? Es steht, zum letztenmal, bei ihr. Wohin soll sie gehen? Zu diesem Titus? Oder nach Jabne zu Jochanan Ben Sakkai, der auf schlaue und großartige Weise das Judentum neu aufbaut, heimlicher, geistiger, geschmeidiger und doch fester als bisher? Oder soll sie zu ihrem Bruder gehen und das Leben einer großen Dame, führen, voll betriebsamer Leerheit? Oder soll sie in die Wüste gehen, wartend, ob eine Stimme kommt?
Sie steht und sieht auf den Mann. Sie riecht den Blutgeruch an ihm, sie hört das grauenvolle Hep, Hep, das sie im Lager gehört hat und das bestimmt auch im Herzen dieses Mannes schrie. Es wäre besser, sie ginge zurück ins Haus. Hinterm Haus ist die Wüste, dort ist es gut. Sie befiehlt sich, zurückzugehen. Aber sie geht nicht zurück, sie steht, den linken Fuß noch auf der Schwelle, den rechten schon außerhalb. Und nun setzt sie auch den linken vor, es zieht sie, sie befiehlt sich: zurück! Aber sie geht nicht zurück. Wieder eine Stufe hinunter setzt sie den Fuß, und noch eine. Sie ist verloren, sie weiß es. Sie nimmt es auf sich, sie will verloren sein. Sie steigt die Treppe hinunter.
Der Mann unten sieht sie kommen. Sie kommt herunter, ihm entgegen, dies ist der kostbare, geliebte Schritt der Berenike, der ihm entgegenkommt. Er stürmt vor, die Treppe hinauf. Strahlt. Sein Gesicht ist ganz jung, das eines glücklichen Knaben, den alle Götter segnen. Er streckt der Frau den Arm zu, die Handfläche nach außen, stürmt hinauf, jubelt: Nikion!
Die Nacht bleibt er in dem kleinen, verwahrlosten Haus. Anderen Tages reitet er nach Jerusalem zurück, beglückt. Er trifft den Josef. »Wolltest du nicht siebenundsiebzig Gefangene, mein Josef?« fragt er. »Nimm sie.«
Josef, das Täfelchen mit der Ermächtigung des Feldherrn im Gürtel, begab sich in den Frauenvorhof des Tempels, der als Gefangenendepot eingerichtet war. Es hatte ihn alle die Tage her gedrückt, daß er seine Macht, zu lösen, auf so billige Art verzettelt hatte. Jetzt begann die hoffnungsvolle, qualvolle Suche von neuem.
Die Organisation des Gefangenendepots hat noch immer Fronto unter sich, er ist inzwischen zum Oberst aufgerückt. Er übernimmt persönlich die Führung des Josef. Er mag den Juden nicht, aber er weiß, dieser Josephus ist beauftragt, ein Buch über den Krieg zu schreiben, und er möchte in diesem Buch eine gute Figur machen. Er setzt ihm die Schwierigkeit auseinander, ein Depot von solchem Umfang zu verwalten. Der Markt für Leibeigene ist hoffnungslos verstopft. Wie soll man das Pack nur verpflegen, bis man es an den Mann gebracht hat? Sie sind auf dem Hund, seine lieben Kindlein, Haut und Knochen, viele verseucht. Elftausend sind ihm in dieser einzigen Woche eingegangen. Viele sind übrigens selber daran schuld. Unsere Legionäre sind gutmütig, zu Witzen aufgelegt, oft bieten sie den Gefangenen von ihrem eigenen Schweinefleisch an. Aber, ist es zu glauben, die Kerls verrecken lieber, als daß sie das Zeug fräßen.
Gefangene, die Waffen getragen haben, füttert Fronto nicht mit durch, die läßt er natürlich gleich exekutieren. Was die andern anlangt, so sucht er Verwandte aufzutreiben, die allenfalls Lösegeld für sie zahlen. Die nicht Ausgelösten hofft er im Lauf etwa eines halben Jahres durch ein paar Auktionen großen Stils loszuwerden. Gefangene ohne Marktwert, ältere, schwächliche Männer, ältere Weiber ohne besondere Geschick lichkeit, stößt er ab, indem er sie als Material für die Tierhetzen und Kampfspiele bereitstellt.
Langsam, einsilbig ging Josef neben dem beflissenen Oberst Fronto her. Die Gefangenen trugen ihr Täfelchen mit Namen und kurzer Charakteristik, sie hockten oder lagen
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