Der jüdische Krieg.
ihr Fleisch verwahrlosend, die Stimme ihres Gottes vernehme.
Dann hörte er, sie sei nach dem kleinen Orte Thekoa gegangen. Das waren nur wenige Stunden Weges. Aber die Nachricht machte ihn nicht fröhlicher. Was suchte sie in dem halbzerstörten Nest? Wollte sie die Stümpfe ihres Haines vor Augen haben, ständige Erinnerung, daß er ihr nicht einmal die kleine Bitte erfüllt hatte?
Das breite Gesicht des Titus wurde grämlich, sein dreiekkiges, eingezacktes Kinn schob sich noch mehr heraus, das ganze Antlitz verkniff sich zu dem eines bösartigen Bauernknaben. Was soll er tun? Er hat nichts vorzubringen, was vor ihr bestehen könnte. Soll er grob und schmetternd von Kriegsrecht reden, ihr den Herrn zeigen, den Römer? Er wird nicht mehr erreichen als in der Nacht, da er sie mit Gewalt nahm.
Er befahl sich, nicht mehr an die Frau zu denken. Er hat Arbeit genug, sich abzulenken. Noch steht die Altstadt, die Oberstadt. Sie hat dicke, mächtige Mauern, man kann sie nicht ohne weiteres stürmen, man muß von neuem mit den Maschinen arbeiten, die Tore unterminieren. Er setzte sich einen Termin. Sowie er die Oberstadt genommen hat, wird er sich der Frau stellen.
Vornächst ließ er alles, was er von dem eroberten Bezirk aus erreichen konnte, dem Erdboden gleichmachen. Auseinander die Steine, nieder die Wände. Er hatte Lust bekommen an der Vernichtung. Die vornehmen Häuser an den Rändern der Tempelschluchten, das Proletarierviertel Ophla, die alten, soliden Gebäude der Unterstadt wurden verheert. Rathaus und Archiv, schon zu Beginn des Bürgerkriegs in Brand gesteckt, wurden ein zweites Mal zerstört. Die Hypothekenbriefe, die Kaufdokumente, die in Erz gegrabenen Staatsverträge, die auf Pergament niedergelegten Ergebnisse der langen, leidenschaftlichen Unterhandlungen auf der Kippa, der Börse, gingen ein für allemal zugrunde. Der ganze Tempelbezirk und die angrenzenden Stadtteile wurden den Soldaten zur Plünderung überlassen. Wochenlang wühlten sie immer neues Gold und neue Schätze aus dem Schutt. Auch in die unterirdischen Gänge des Tempelhügels tauchten sie hinab, nicht ohne Gefahr; denn viele verirrten sich und kamen nicht mehr ans Licht, manche auch fanden den Tod im Kampf mit Flüchtlingen, die sich in dieser Unterwelt versteckt hielten. Aber die Gefahr lohnte, die Unterwelt war eine Goldgrube. Immer neue Kostbarkeiten quollen aus ihren Schächten, auch die verborgenen Tempelschätze förderte man zutage, unter ihnen den berühmten achtteiligen Ornat, den der Erzpriester Phanias so schmerzlich vermißt hatte. Juwelen, edles Metall, seltene Stoffe häuften sich im römischen Depot, die Händler hatten zu tun, der Preis des Goldes im ganzen Osten sank um siebenundzwanzig Prozent.
In der Unterstadt war ein Heiligtum der Juden, das Mausoleum der Könige David und Salomo. Achtzig Jahre zuvor hatte einmal Herodes die Gruft geöffnet, heimlich, des Nachts, gelockt von dem Gerücht ungeheurer Schätze. Als er aber in das Innere vordringen wollte, wo die Gebeine der alten Könige ruhten, waren ihm Flammen entgegengeschlagen, seine Fakkeln hatten die Erdgase der Gruft entzündet. Titus hatte keine Angst. Er drang mit seinen Herren bis in die letzte Grabkammer. Da lagen die Leichen der beiden Könige, in goldenen Rüstungen, Diademe auf den Schädeln, riesige, bunte Ringe kollerten von ihren Beinhänden. Lampen, Schalen, Teller, Krüge hatte man ihnen mitgegeben, auch die Rechnungsbücher des Tempels, auf daß sie Jahve ihren frommen Wandel beweisen könnten. Der Marschall Tiber Alexander rollte die Bücher auf, beschaute die verschollenen Schriftzeichen. Titus nahm das umfangreiche Diadem von dem einen Schädel, setzte es mit seinen breiten, kurzen Händen auf den eigenen, wandte sich an seine Herren. »Das Diadem steht Ihnen nicht gut, Cäsar Titus«, sagte trocken der Marschall.
Josef hatte den Brand des Tempels mit gespannter Aufmerksamkeit betrachtet wie ein Forscher eine Naturerscheinung. Er hatte sich verhärtet, er wollte nur Auge sein, er wollte den lückenlosen Ablauf sehen, Anfang, Mitte, Ende. Er war immer wieder bis an den Rand des Feuers gegangen, hatte das brennende Geviert viele hundert Male durchmessen, sehr müde und trotzdem überwach. Er sah, hörte, roch, nahm wahr, sein feines, treues Gedächtnis notierte alles.
Am 25. September, einen Monat nach dem Fall des Tempels, fünf Monate nach Beginn der Belagerung, fiel die Oberstadt von Jerusalem. Während die Kohorten
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