Der jüdische Krieg.
dicht gepfercht in Hitze und Gestank, sie hatten seit Wochen den Tod vor Augen, sie hatten Hoffnung und Furcht so bis ins Letzte ausgeschmeckt, daß sie leer waren, ausgeronnen.
Die Abteilung, durch die sie jetzt gingen, enthielt die für die Tierhetze und Kampfspiele Ausgesonderten. »Doktor Josef«, rief ihn einer an, kläglich und erfreut, ein alter Bursche, struppig, grau von Gesicht, verfilzt. Josef suchte in seinem Gedächtnis, erkannte ihn nicht. »Ich bin der Glasbläser Alexas«, sagte der Mann. Was, dieser Mensch wollte der gescheite, weltgewandte Kaufmann sein? Der stattliche, beleibte Alexas, nicht älter als er selber? »Ich habe Sie zuletzt auf der Messe in Cäsarea getroffen, Doktor Josef«, erinnerte ihn der Mann. »Wir sprachen davon, daß leiden müsse, wer sich zur Vernunft bekennt.« Josef wandte sich an Fronto: »Ich glaube, der Mann hat nie zu den Aufrührern gehört.« – »Die Untersuchungskommission hat ihn mir überwiesen«, meinte achselzuckend Fronto. »Das römische Prozeßverfahren ist nicht schlecht«, mischte sich Alexas bescheiden ein, mit einem kleinen Lächeln, »aber es wird hier zur Zeit vielleicht ein bißchen summarisch angewandt.« – »Der Bursche ist nicht übel«, lachte Fronto, »aber wohin kämen wir, wenn wir alle Entscheidungen revidieren wollten? Es ist gegen die Richtlinien. ›Besser eine Ungerechtigkeit als ein Verstoß gegen die Ordnung‹, lautete die Order des Feldherrn, als er mir das Depot übergab.« – »Bemühen Sie sich nicht um mich, Doktor Josef«, sagte resigniert Alexas. »Ich bin so überdeckt mit Unglück, daß kein freundlicher Wille mehr durchkommt.« – »Ich bitte um den Mann«, sagte Josef und wies auf sein Täfelchen. »Wie Sie wünschen«, sagte höflich Oberst Fronto. »Jetzt haben Sie noch sechs Stück gut«, konstatierte er und machte seine Anmerkung auf dem Täfelchen.
Josef ließ den Glasbläser Alexas in sein Zelt bringen. Er mühte sich mit Zartheit um den erschöpften, traurigen Men schen. Alexas erzählte, wie er beim Einbruch der Römer seinen Vater in die Unterwelt hinuntergeschleppt hatte, um sich und ihn zu retten. Der alte Nachum hatte sich gesträubt.: Gehe er in dem Haus in der Salbenmachergasse zugrunde, dann sei eine leise Hoffnung, daß einer ihn finde und begrabe. Sterbe er aber in der Unterwelt, dann werde er unbegraben liegenbleiben, keine Erde über sich, und sein Gesicht bei der Auferstehung verlieren. Schließlich hatte er den Alten mit Überredung und Zwang in die Unterwelt gebracht, aber ihre Fackel war bald ausgegangen, und sie hatten einander verloren. Er selber war dann nach einiger Zeit von zwei Soldaten aufgespürt worden. Hatte ihnen, gekitzelt von ihren Schwertern, ein weniges von seinem Vergrabenen gezeigt. Da er sie vermuten ließ, er habe noch mehr, behielten sie ihn zunächst für sich und lieferten ihn nicht im Depot ab. Die beiden waren drollige, umgängliche Burschen, und vor allem, mit zwei Soldaten konnte man reden, mit dem Depot, mit der römischen Armee, konnte man nicht reden. Er mußte ihnen Witze erzählen. Gefielen sie ihnen nicht, dann banden sie ihn an einen Baumstamm, an Händen und Füßen, den Bauch nach unten, und schaukelten ihn hin und her. Das war unangenehm. Gewöhnlich aber gefielen ihnen seine Witze. Die beiden Soldaten waren nicht die schlimmsten, man kam leidlich miteinander aus. Mehr als eine Woche zogen sie so mit ihm herum, ließen ihn vor den andern Kunststücke machen, seine Witze erzählen. Der jüdische Akzent seines Latein machte ihnen und ihren Kameraden Spaß. Sie kamen schließlich auf die Idee, er eigne sich zum Türhüter, und wollten ihn bei sich halten, bis sie ihn als Türhüter verkaufen könnten. Ihm war es recht. Es war besser, als in einem ägyptischen Bergwerk oder in einer syrischen Arena zu enden. Aber dann waren seine beiden Herren ein zweites Mal in die Unterwelt hinuntergestiegen, waren nicht mehr zurückgekommen, und ihre Zeltkameraden hatten ihn dem Depot überwiesen.
»Das alles geschah mir«, meditierte Alexas, »weil ich nicht der Vernunft folgte. Wäre ich rechtzeitig aus Jerusalem fort, dann hätte ich wenigstens noch Weib und Kinder, aber ich wollte alles haben, ich wollte Vater und Brüder haben. Ich habe mich überhoben.« Er bat den Josef, ihm eine murrinische Vase schenken zu dürfen. Ja, dieser kluge Alexas hatte immer noch Reserven. Er hatte viel gerettet, meinte er bitter, nur das Wichtigste hatte er nicht gerettet. Sein
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