Der jüdische Krieg.
Vater Nachum, wo ist er? Sein Weib Channa, seine Kinder, sein liebenswerter, heftiger, törichter Bruder Ephraim, wo sind sie? Er selber, Alexas, was er gelitten hat, ist über eines Menschen Vermögen. Er wird Gläser machen und andere schöne Dinge. Aber er hat keine Gnade vor Gott, er wagt es nicht, in diese Welt hinein von neuem ein Kind zu machen.
Den andern Tag ging Josef wiederum durch das Gefangenendepot. Er hat jetzt nur mehr sechs Menschenleben in der Hand, er wird sie nicht ausgeben, bevor er den Einen, seinen Bestimmten, gefunden hat. Wie aber soll er unter der Million von Toten, Gefangenen, Elenden seinen Einen herausfinden? Das heißt einen Fisch im Meer suchen.
Als Josef auch am dritten Tag wiederkam, begann Oberst Fronto ihn zu hänseln. Er freue sich, meinte er, daß Josef für seine Ware mehr Interesse zeige als jeder Leibeigenenhändler. Josef ließ sich das nicht anfechten. Er suchte auch diesen Tag hindurch. Vergeblich.
Am späten Abend erfuhr er, es seien, als Ergebnis einer Razzia in der Unterwelt, achthundert Gefangene eingeliefert worden, die Oberst Fronto sogleich fürs Kreuz bestimmt habe. Josef hatte sich bereits hingelegt, er war müde und erschöpft. Trotzdem machte er sich auf.
Es war tiefe Nacht, als er auf den Ölberg kam, wo die Exekutionen stattfanden. Dicht standen dort die Kreuze, zu vielen Hunderten. Wo einstmals die Ölterrassen waren, die Magazine der Brüder Chanan, die Villen der Erzpriesterfamilie Boëth, überall jetzt hoben sich die Kreuze. Die nackten, gegeißelten Männer hingen daran, verkrampft, mit schrägen Köpfen, herabfallenden Unterkiefern, bleifarbenen Lidern. Josef und seine Begleiter leuchteten die einzelnen Gesichter ab, sie waren gräßlich verzerrt. Wenn der Lichtschein die Gesichter traf, dann begannen die Hängenden zu sprechen. Einige fluchten, die meisten stammelten ihr: Höre, Israel, Josef war zum Umsinken müde. Er war versucht, beim nächsten zu sagen: Nehmt ab, nehmt ab!, wahllos, damit er die grausige Suche beenden könnte. Das Täfelchen, das ihm Macht gab, wurde immer schwerer. Nur weg von hier, nur schlafen dürfen. Die siebenundsiebzig erreicht haben, das Täfelchen los sein. Ins Zelt, umsinken, schlafen.
Und dann fand er den, den er suchte. Es stoppelte sich dem Gelbgesichtigen ein wirrer Bart um die Wangen. Das Gesicht war auch nicht mehr gelb, grau vielmehr, eine dicke, belegte Zunge hing aus dem klaffenden Mund. »Nehmt herunter!« sagte Josef, er sagte es sehr leise, es kostete ihn Mühe, zu sprechen, es würgte ihn, er schluckte. Die Profose zögerten. Es mußte erst der Oberst Fronto gerufen werden. Es dauerte quälend lange für Josefs Ungeduld. Ihm schien, als stürbe der Gelbgesichtige, während er hier zu seinen Füßen wartete. Das durfte nicht sein. Das große Gespräch zwischen ihm und Justus war nicht zu Ende. Justus durfte nicht sterben, bevor es zu Ende war.
Endlich kam Fronto, verschlafen, verärgert, er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Höflich trotzdem wie immer hörte er Josef an. Gab sogleich Befehl, den Mann abzunehmen und Josef zu übergeben. »Jetzt haben Sie noch fünf Stück gut«, konstatierte er und machte seine Anmerkung auf Josefs Täfelchen. »Nehmt ab! Nehmt ab!« befahl Josef und bezeichnete die nächsten fünf. »Jetzt haben Sie keinen mehr«, konstatierte der Oberst.
Der Gelbgesichtige war angenagelt gewesen, das war das mildere Verfahren, aber es erwies sich als sehr hart jetzt beim Abnehmen. Er hing fünf Stunden, das war für einen starken Mann nicht viel, aber der Gelbgesichtige war kein starker Mann. Josef schickte nach Ärzten. Der Gelbgesichtige kam zum Bewußtsein vor Schmerz, dann sank er wieder weg, dann riß der Schmerz ihn wieder ins Bewußtsein. Die Ärzte kamen. Es gehe um einen Propheten der Juden, hieß es, und er sei im Auftrag des Prinzen vom Kreuz genommen worden. Dergleichen kam nicht oft vor; es waren die besten Ärzte des Lagers, die sich für den Fall interessierten. Josef drang in sie. Sie äußerten sich zurückhaltend. Vor drei Tagen könnten sie nicht sagen, ob der Mann durchkommen werde.
Josef ging neben der Bahre her, in der man Justus ins Lager brachte. Justus hatte ihn nicht erkannt. Josef ist todmüde, aber er ist voll Ruhe, in seinem Herzen sind die Worte der Lobsagung anläßlich der Errettung aus großer Gefahr. Schlafen hätte ihm nicht Frische gebracht, das Essen keine Sättigung, Bücher keine Erkenntnis, Erfolg keine
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