Der jüdische Krieg.
einem braungelben, scharfen Gesicht, der ihm gegenübersitzt und ihn unverhohlen auf und ab schaut. Es stellt sich heraus, daß der Herr auch aus Judäa stammt, aus der halbgriechischen Stadt Tiberias allerdings, und daß er Justus heißt, ja, Justus von Tiberias, und daß seine innere und äußere Situation der des Josef bedenklich ähnelt. Wie dieser hat er Theologie studiert, Jurisprudenz und Literatur. Er beschäftigt sich vornehmlich mit Politik, lebt hier als Agent des Titularkönigs Agrippa, und wenn er an Familienadel hinter Josef zurücksteht, so hat er von Geburt an eine bessere Kenntnis des Griechischen und Lateinischen; auch ist er bereits drei Jahre hier. Die jungen Herren beriechen einander, neugierig beide, höflich und mit viel Mißtrauen.
Drüben auf den Speisesofas ist die Konversation laut, ungeniert. Die beiden prunkvollen Synagogen in der eigentlichen Stadt Rom sind niedergebrannt, während die drei großen Bethäuser hier auf dem rechten Tiberufer unversehrt geblieben sind. Es war natürlich schmerzlich und eine Heimsuchung, daß die beiden Gotteshäuser verbrannt waren, aber ein bißchen freute es die Gemeindevorsteher vom rechten Tiberufer trotzdem. Die fünf jüdischen Gemeinden Roms hatten jede ihren eigenen Präsidenten, es war ein scharfer Wettkampf zwischen ihnen, vor allem zwischen der sehr exklusiven Veliasynagoge von drüben und der vielköpfigen, doch gar nicht wählerischen Agrippenser-Gemeinde des Cajus. Des Cajus Vater vor allem, der uralte Aaron, keifte zahnlos gegen die hochfahrenden Dummköpfe vom andern Ufer. War es nicht Gesetz und altes Herkommen, die Synagogen jeweils auf den höchsten Platz ihrer Umgebung zu stellen, so wie der Tempel in Jerusalem die Stadt von der Höhe aus beherrschte? Aber natürlich, Julian Alf, der Präsident der Veliagemeinde, mußte seine Synagoge in unmittelbarer Nähe des Palatin haben, auch wenn er sie zu diesem Zweck tiefer stellen mußte. Es war Strafe Gottes, daß er seine Häuser hatte niederbrennen lassen. Strafe vor allem auch dafür, daß die Juden vom andern Ufer ihr Salz bei den Römern kauften, wo doch jeder wußte, daß dieses römische Salz des schönen Aussehens wegen mit Schweinefett bestrichen war. So schimpfte der Uralte über alles und auf alle. Soviel Josef seinem nicht ganz zusammenhängenden wilden Gemurmmel entnehmen konnte, war er jetzt bei denjenigen, die ihre heiligen hebräischen Namen aus Gründen der Mode und des Geschäfts in lateinische und griechische umwandelten. Sein Sohn Cajus, der selber ursprünglich Chajim hieß, lächelte gutmütig, verständnisvoll; eigentlich dürften das die Kinder nicht hören. Claudius Regin aber lachte, klopfte dem Uralten auf die Schulter, sagte, er habe von Geburt an Regin geheißen; denn er sei leibeigen geboren, und so habe sein Herr ihn genannt. Aber eigentlich müßte er Melek heißen, so habe seine Mutter ihn manchmal gerufen, und er habe durchaus nichts dagegen, wenn auch der Uralte ihn Melek nennen wolle.
Der braungelbe Justus von Tiberias hat sich mittlerweile an Josef herangetastet. Josef fühlte sich schon die ganze Zeit von ihm beobachtet. Er hat den Eindruck, daß dieser Justus sich innerlich über ihn lustig macht, über seine Konversation, über seine Aussprache, seine Jerusalemer Eßsitten, wie er zum Beispiel mit Daumen und drittem Finger den parfümierten Zahn stocher aus Sandelholz zum Mund führt. Jetzt, unvermittelt, fragt ihn dieser Justus, und es klingt schon wieder so verdammt überlegen weltstädtisch: »Sie sind wohl in politischen Geschäften hier, mein Doktor und Herr Josef Ben Matthias?« Und da kann sich Josef nicht halten, er muß diesem höhnischen jungen Römer zu schmecken geben, daß es wirklich etwas Großes und Wichtiges ist, dessenthalb man ihn hierher delegiert hat, und er legt dar den Fall seiner drei Unschuldigen. Er gerät in Feuer, er spricht etwas zu pathetisch für die Ohren dieser skeptischen römischen Gesellschaft; dennoch wird es still in beiden Teilen des Raumes, auf den Speisesofas und an dem großen Tisch, alle hören sie dem beredten, von sich und seiner Sache hingerissenen jungen Menschen zu. Josef merkt gut, wie schwärmerisch Irene zu ihm aufblickt, wie sein Kollege Justus sich ärgert, wie selbst Claudius Regin wohlgefällig schmunzelt. Das beflügelt ihn, seine Worte werden größer, sein Glaube an seine Sendung wärmer, seine Rede bekommt Atem. Bis unwillig der Uralte unterbricht: am Sabbat spreche man nicht von
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