Der jüdische Krieg.
solcher Quantität, daß Sie zu der Überzeugung gelangen müssen, in Zukunft sei dort das Land für immer entblößt, und wenn jene Völker den Bedarf an ihren eigenen Erzeugnissen decken wollen, müssen sie zu uns kommen. Was wünschen Sie, mein Herr, spanische Wolle, chinesische Seide, Alpenkäse, arabische Parfüms, medizinische Drogen aus dem Sudan? Sie bekommen eine Prämie, wenn Sie etwas nicht finden. Oder wünschen Sie die neuesten Nachrichten? Man ist auf dem Forum und dem Marsfeld genau informiert, wenn in Oberägypten die Getreidekurse sinken, wenn ein General am Rhein eine törichte Rede hielt, wenn unser Gesandter am Hof des Partherkönigs durch zu lautes Niesen unangenehmes Aufsehen erregte. Kein Gelehrter kann arbeiten ohne unsere Bibliotheken. Wir haben so viele Statuen wie Einwohner. Wir zahlen die höchsten Preise für Tugend und für Laster. Was Ihre Phantasie sich ausdenken kann, finden Sie bei uns; aber Sie finden viel mehr, was Ihre Phantasie sich nicht ausdenken kann.«
Der Senator hatte sich aus der Sänfte vorgeneigt; ringsum im weiten Umkreis hörte man zu. Er hatte die ironische Pose bis zum Schluß durchgehalten, die Imitation eines Advokaten oder Marktschreiers, aber es klang warm durch seine Worte, und alle spürten, daß diese große Lobrede auf die Stadt mehr war als Parodie. Hingerissen hörten sie zu, wie die Stadt gerühmt wurde, ihre Stadt, mit ihren gesegneten Tugenden und ihren gesegneten Lastern, Stadt der Reichsten und der Ärmsten, lebendigste Stadt der Welt. Wie im Theater dem gefeierten Schauspieler jubelten sie dem Senator Beifall, als er zu Ende war. Der Senator Marull aber hörte schon nicht mehr hin, hatte auch keinen Blick mehr für Josef. In seiner Sänfte verschwand er, winkte den Architekten heran, ließ sich das Modell des Neubaus erklären. Auch der Juwelier Claudius Regin richtete nicht mehr das Wort an Josef. Immerhin hatte er, als Josef vom Strudel der sich zerstreuenden Menge weggerissen wurde, für ihn ein Zwinkern ironischer Aufmunterung, das sein fleischiges Gesicht sonderbar schlau veränderte.
Nachdenklich, ohne Blick für die Umwelt, oft angerempelt, schob sich Josef durch das Gewimmel der Stadt. Er hatte die lateinische Rede des Senators nicht ganz verstanden, aber sie wärmte auch ihm das Herz und gab seinen Gedanken Flug. Er stieg hinauf auf das Capitol, sog ein den Anblick der Tempel, Straßen, Denkmäler, Paläste. In dem Goldenen Haus, das dort errichtet wurde, regierte der römische Kaiser die Welt, und vom Capitol erließen Senat und Volk von Rom Beschlüsse, die die Welt änderten, und dort in den Archiven, in Erz gegraben, lag die Ordnung der Welt, wie Rom sie ordnete. Rom hieß Kraft, er sprach das Wort vor sich hin: Rom, Rom, und dann übersetzte er es ins Hebräische, da hieß es: Gewurah und klang viel weniger furchtbar, und dann übersetzte er es ins Aramäische, da hieß es: Kochah und hatte alle seine Drohung verloren. Nein, er, Josef, Sohn des Matthias aus Jerusalem, Priester der Ersten Reihe, hatte keine Angst vor Rom.
Er schaute über die Stadt hin, sie belebte sich immer mehr, die Zeit des großen Nachmittagverkehrs war da. Geschrei, Gewimmel, Geschäftigkeit. Er trank in sich das Bild der Stadt, aber dahinter, wirklicher als dieses wirkliche Rom, sah er seine Heimatstadt, die Quadernhalle des Tempels, in der der Große Rat tagte, und wirklicher als den Lärm des Forums hörte er das gelle Getöse der Ungeheuern Schaufelpfeife, die bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang über Jerusalem hin und bis nach Jericho verkündete, daß jetzt das tägliche Brandopfer am Altar Jahves dargebracht werde. Josef lächelte. Nur wer in Rom geboren ist, kann Senator werden. Dieser Herr Marull sieht stolz und turmhoch aus seiner Sänfte und steckt seinen Fuß in den roten, hochgesohlten, schwarzgeriemten Schuh der vierhundert Senatoren. Aber er, Josef, zieht es vor, in Jerusalem geboren zu sein, trotzdem er nicht einmal den Ring des Zweiten Adels hat. Diese Römer lächelten über ihn: aber tiefer lächelte er über sie. Was sie geben konnten, die Männer des Westens, ihre Technik, ihre Logik, das konnte man lernen. Was man nicht lernen konnte, das war die Schaukraft des Ostens, seine Heiligkeit. Die Nation und Gott, Mensch und Gott waren dort eins. Aber es war ein unsichtbarer Gott, er konnte nicht geschaut werden und nicht gelernt. Man hatte ihn oder hatte ihn nicht. Er, Josef, hatte es, dieses Unlernbare. Und daß er das andere
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