Der jüdische Krieg.
lernen werde, die Technik und die Logik des Westens, daran zweifelte er nicht.
Er ging das Capitol hinunter. Seine langen, heftigen Augen brannten aus dem blaßbraunen, knochigen Gesicht. Man wußte in Rom, daß unter den Leuten aus dem Osten viele von ihrem Gott Besessene waren. Man schaute ihm nach, manche ein wenig spöttisch, einige wohl auch mit Neid, aber den meisten, den Frauen vor allem, gefiel er, wie er einherging, voll von Träumen und Ehrgeiz.
Cajus Barzaarone, Präsident der Agrippenser-Gemeinde, bei dem Josef wohnte, war Inhaber der blühendsten Kunstmöbelfabrik in Rom. Seine Hauptmagazine lagen auf der andern Seite des Tiber, in der eigentlichen Stadt, ein Kleinbürgerladen in der Subura, die beiden großen Luxusgeschäfte in den Arkaden des Marsfelds; an Werktagen war auch sein geräumiges Privathaus im Judenviertel in der Nähe des Drei-Straßen-Tors vollgestopft mit Dingen seines Betriebs. Heute aber, am Vorabend des Sabbat, war keine Spur davon zu merken. Das ganze Haus, vor allem das geräumige Speisezimmer, schien Josef heute verwandelt. Sonst lag der Raum gegen den Hof offen; heute war er durch einen mächtigen Vorhang abgeschlossen, und Josef erkannte wohlig angerührt den Brauch der Heimat, die Sitte Jerusalems. Er wußte: solange dieser Vorhang geschlossen blieb, war ein jeder im Speisezimmer als Gast willkommen. Wurde er zurückgerafft, so daß die freie Luft hereinströmte, dann begann das Mahl, und wer dann kam, kam zu spät. Auch war der Raum heute nicht nach römischer Art, sondern nach dem Brauch Judäas erleuchtet: silberne, mit Veilchengirlanden geschmückte Lampen hingen von der Decke. Auf dem Büfett, auf dem Tafelgeschirr, auf Bechern, Salzfässern, Öl-, Essig- und Gewürzflaschen, glänzte das Emblem Israels, die Weintraube. Zwischen den vielen Geräten aber, und das rührte Josefs Herz wohliger als aller Glanz, standen strohumhüllte Wärmekisten; denn am Sabbat durfte nicht gekocht werden, deshalb waren die Speisen schon bereitet, und ihr Geruch erfüllte den Raum.
Trotz dieser anheimelnden Umwelt fühlte sich Josef unzufrieden. Er hatte im stillen damit gerechnet, man werde ihm, als einem Priester der Ersten Reihe und Träger des großen Doktortitels von Jerusalem, einen Platz auf einem der drei Speisesofas anbieten. Allein diesem eingebildeten Römer war es wohl zu Kopf gestiegen, daß jetzt nach dem großen Brand sein Möbelgeschäft so gut ging, und er dachte gar nicht daran, ihm einen von seinen Ehrenplätzen anzuweisen. Vielmehr sollte er offenbar mit den Frauen und den mindergeachteten Gästen an dem großen allgemeinen Tisch sitzen.
Warum steht man eigentlich herum und zieht nicht den Vorhang hoch und beginnt zu essen? Cajus hat seinen Kindern längst die Hand auf die Scheitel gelegt, sie segnend mit dem uralten Spruch, die Knaben: Gott lasse dich werden wie Ephraim und Menasse, das Mädchen: Gott mache dich wie Rahel und Lea. Alle sind ungeduldig und haben Appetit: worauf wartet man?
Da kommt vom Hof her hinter dem Vorhang eine bekannte Stimme, und jetzt schlurft aus dem Vorhang ein fetter Herr herein, den Josef schon gesehen hat: der Finanzmann Claudius Regin. Er begrüßt spaßhaft auf römische Art den Hausherrn und dessen uralten Vater Aaron, er wirft auch den Mindergeehrten ein paar wohlwollende Worte herüber, und siehe, Josef wird sehr stolz: er erkennt ihn, er blinzelt ihm aus seinen schweren, schläfrigen Augen zu, er sagt mit seiner hohen, fettigen Stimme, und alle hören es: »Guten Tag, Friede mit dir, Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe.« Dann sogleich rafft man den Vorhang hoch, Claudius Regin legt sich ohne weiteres auf das mittlere Speisesofa, auf den Ehrenplatz. Cajus nimmt das andere, der alte Aaron das dritte. Dann spricht Cajus über einem vollen Becher judäischen Weines, Weines von Eschkol, das Heiligungsgebet des Sabbatabends, er segnet den Wein, und der große Becher geht von Mund zu Mund, und dann segnet er das Brot, bricht es, verteilt es, und alle sagen amen, und dann endlich beginnt man zu essen.
Josef sitzt zwischen der dicklichen Hausfrau und der hübschen sechzehnjährigen Tochter des Hauses, Irene, die hemmungslos ihre sanften Augen an ihn hängt. Es sind noch viele Leute an der großen Tafel, der Knabe Cornel und der andere halbwüchsige Sohn des Cajus, auch zwei demütige, unscheinbare Theologiestudenten, die darauf warten, sich heute abend hier satt zu essen, und vor allem ein junger Herr mit
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