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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wieder.
    »Wovor?«
    »Daß Sie ... anfangen, eine Wand einzureißen ...«, sagte sie; sie lächelte wieder, war aber jetzt tatsächlich bange.
    »Ich kann Ihr Lächeln nicht ertragen!«
    Und nun begann ich wieder zu sprechen. Mir war, als flöge ich. Ich hatte die Empfindung, als ob mich etwas vorwärtsstieße. Ich hatte noch niemals, noch niemals so zu ihr gesprochen, sondern war immer schüchtern gewesen. Ichwar auch jetzt furchtbar schüchtern, aber ich sprach; ich erinnere mich, daß ich von ihrem Gesicht zu sprechen anfing.
    »Ich kann Ihr Lächeln nicht mehr ertragen!« rief ich. »Warum habe ich mir, als ich noch in Moskau war, von Ihnen die Vorstellung gemacht, Sie seien gebieterisch und prunkend und redeten in der heimtückischen Weise der vornehmen Welt? Ja, so habe ich in Moskau gedacht; ich redete schon dort viel von Ihnen mit Marja Iwanowna und suchte mir eine Vorstellung davon zu machen, wie Sie wohl sein möchten ... Erinnern Sie sich an Marja Iwanowna? Sie sind ja bei ihr gewesen. Als ich hierherfuhr, habe ich im Bahnwagen die ganze Nacht von Ihnen geträumt. Hier habe ich vor Ihrer Ankunft einen ganzen Monat lang Ihr Porträt im Arbeitszimmer Ihres Vaters betrachtet und dennoch Ihr Wesen nicht erraten. Der Ausdruck Ihres Gesichts ist kindliche Schalkhaftigkeit und unbegrenzte Treuherzigkeit – das ist's! Darüber habe ich mich die ganze Zeit, seit ich zu Ihnen komme, nicht genug wundern können. Oh, und Sie verstehen es auch, stolz auszusehen und einen mit Ihrem Blick niederzuschmettern: ich weiß noch, wie Sie mich damals bei Ihrem Vater ansahen, als Sie aus Moskau gekommen waren ... Ich sah Sie damals, aber wenn mich jemand, als ich auf die Straße trat, gefragt hätte, wie Sie aussähen, so hätte ich es nicht sagen können. Nicht einmal Ihre Größe hätte ich angeben können. Als ich Sie sah, wurde ich geradezu blind. Ihr Porträt hat mit Ihnen absolut keine Ähnlichkeit: Sie haben keine dunklen Augen, sondern helle, und sie scheinen nur dunkel von den langen Wimpern. Sie haben eine gewisse Körperfülle. Sie sind von mittlerer Statur, aber es ist eine feste, leichte Fülle, die Fülle eines gesunden, jungen Bauernmädchens. Und auch Ihr Gesicht ist durchaus ländlich, das Gesicht einer Dorfschönen – fühlen Sie sich nicht gekränkt; das ist ja gut so, das ist weit besser –, ein rundes, frisches, klares, keckes, lachendes und ... schüchternes Gesicht! Wahrhaftig, ein schüchternes Gesicht. Katerina Nikolajewna Achmakowa soll ein schüchternes Gesicht haben! Und doch ist es schüchtern und keusch, ich schwöre es! Mehr als keusch: es ist kindlich! So sieht Ihr Gesicht aus! Ich bin die ganze Zeitüber davon überrascht gewesen und habe mich die ganze Zeit über gefragt: ist das wirklich jene Frau? Ich weiß jetzt, daß Sie sehr klug sind, aber anfangs hatte ich gemeint, Sie wären etwas beschränkt. Sie haben einen heiteren Verstand, aber ohne alle Finessen ... Ferner liebe ich es, daß das Lächeln nie von Ihrem Gesicht weicht: das ist für mich das Paradies! Ferner liebe ich Ihr ruhiges, stilles Wesen, und daß Sie die Worte glatt, ruhig und beinahe träge aussprechen, – gerade diese Trägheit liebe ich. Ich glaube, wenn eine Brücke unter Ihnen zusammenbräche, so würden Sie auch dann etwas in Ihrer gewandten, maßvollen Art sagen ... Ich hatte Sie mir als den Gipfel des Stolzes und der Leidenschaftlichkeit vorgestellt, und nun haben Sie ganze zwei Monate lang mit mir gesprochen wie ein Student mit einem andern Studenten ... Ich hatte mir nie vorgestellt, daß Sie eine solche Stirn hätten: sie ist etwas niedrig wie bei den antiken Statuen, aber weiß und zart wie Marmor unter dem üppigen Haar. Sie haben eine hohe Brust, einen leichten Gang; Sie sind von außerordentlicher Schönheit, und von Stolz ist bei Ihnen nicht die Spur vorhanden. Ich bin ja erst jetzt zu dieser Überzeugung gelangt, ich hatte es immer nicht glauben wollen!«
    Sie hörte diese ganze wilde Tirade mit großen, weitgeöffneten Augen an; sie sah, daß ich selbst zitterte. Mehrere Male hatte sie mit einer lieblichen, ängstlichen Gebärde ihre kleine, behandschuhte Hand ein wenig erhoben, um mich zu hemmen, sie aber jedesmal erstaunt und furchtsam wieder sinken lassen. Manchmal hatte sie sich sogar mit dem ganzen Körper schnell zurückgebeugt. Zwei- oder dreimal war das Lächeln auf ihrem Gesicht wieder aufgeleuchtet; einmal war sie sehr rot geworden, aber zum Ende hin hatte sie entschieden Angst bekommen und war

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