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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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höchster Erregung fort, »so sagen Sie mir, bitte: haben Sie mich nur deswegen an sich herangezogen und mich bei sich empfangen, weil Sie argwöhnten, ich wisse etwas von diesem Schriftstück? Warten Sie, Katerina Nikolajewna, schweigen Sie noch einen kleinen Augenblick, und lassen Sie mich alles zu Ende sagen: ich habe die ganze Zeit über, während ich bei Ihnen verkehrte, diese ganze Zeit über habe ich geargwöhnt, daß Sie nur deswegen freundlich zu mir wären, um etwas über diesen Brief von mir herauszulocken, um mich zur Ablegung eines Geständnisses zu bringen ... Warten Sie noch einen Augenblick: ich argwöhnte es, aber ich litt unter diesem Argwohn. Ihre Doppelzüngigkeit war für mich unerträglich, denn ... denn ich hatte in Ihnen das edelste Wesen der Welt gefunden! Ich sage es geradeheraus, ich sage es geradeheraus: ich war Ihr Feind, aber ich hatte in Ihnen das edelste Wesen der Welt gefunden! Ich war mit einem Schlag völlig besiegt worden. Aber Ihre Doppelzüngigkeit, das heißt, der Verdacht, daß Sie doppelzüngig seien, quälte mich ... Jetzt muß sich alles entscheiden, alles muß sich klären, der richtige Zeitpunkt ist gekommen; aber warten Sie noch ein wenig, reden Sie noch nicht; hören Sie erst, wie ich selbst diese ganze Sache ansehe, gerade jetzt, in diesem Augenblick; ich sage geradeheraus: selbst wenn es so war, werde ich Ihnen doch deswegen nicht zürnen ... das heißt, ich wollte sagen, ich werde mich nicht gekränkt fühlen, denn das ist ja so natürlich, ich habe ja Verständnis dafür. Was kann denn daran Unnatürliches und Schlechtes sein? Sie machten sich Sorge wegen eines Schriftstücks; Sie argwöhnten, daß jemand alles wußte; nun, da war es doch sehr erklärlich, daß Sie wünschten, der Betreffende möchte sich verplappern ... Daran ist nichts Schlechtes, absolut nichts. Ich rede ganz aufrichtig. Aber doch ist es erforderlich, daß Sie mir jetzt etwas darüber sagen ... ein Geständnis ablegen (verzeihen Sie diesen Ausdruck!). Ich muß die Wahrheit erfahren. Das ist aus einem gewissen Grund notwendig! Also sagen Sie nun: sind Sie nur deswegen freundlich zu mir gewesen, um etwas über dieses Schriftstück aus mir herauszulocken ... Katerina Nikolajewna?«
    Ich redete wie ein Wasserfall, und meine Stirn glühte. Sie hörte mich ohne die frühere Unruhe an; vielmehr drückte ihr Gesicht eine freundliche Empfindung aus; aber sie machte den Eindruck, als sei sie verlegen, als schäme sie sich.
    »Ja, deswegen«, sagte sie langsam und halblaut. »Verzeihen Sie mir, ich habe unrecht gehandelt«, fügte sie auf einmal hinzu und hob ein wenig zu mir hin die Hände auf. Das hatte ich in keiner Weise erwartet. Alles hatte ich erwartet, nur nicht diese beiden Worte; nicht einmal von ihr, die ich doch schon so gut kannte.
    »Und Sie sagen zu mir: ›Ich habe unrecht gehandelt‹! So geradezu: ›Ich habe unrecht gehandelt‹!« rief ich.
    »Oh, ich fühlte schon lange, daß ich Ihnen unrecht tat ... und bin jetzt sogar froh darüber, daß es herausgekommen ist ...«
    »Sie haben es schon lange gefühlt? Warum haben Sie es denn nicht schon früher gesagt?«
    »Ich wußte nicht recht, wie ich es sagen sollte«, versetzte sie lächelnd, »das heißt, ich hätte es wohl gewußt« (sie lächelte wieder), »aber ich schämte mich immer ... denn ich hatte Sie tatsächlich anfangs nur deswegen an mich ›herangezogen‹, wie Sie sich ausdrückten, aber dann wurde mir das bald widerwärtig ... und ich wurde dieser ganzen Verstellung überdrüssig, das versichere ich Ihnen!« fügte sie nicht ohne Bitterkeit hinzu. »Und auch all dieser Mühen und Sorgen!«
    »Und warum, warum haben Sie mich damals nicht gefragt, mich ganz offen gefragt? Sie hätten sagen sollen: ›Du weißt ja von dem Brief, warum verstellst du dich denn?‹ Und ich hätte Ihnen sogleich alles gesagt, hätte sogleich ein Geständnis abgelegt!«
    »Ja, ich ... ich fürchtete mich ein bißchen vor Ihnen. Ich muß gestehen, ich traute Ihnen ebenfalls nicht. Und um die Wahrheit zu sagen: wenn ich List anwandte, so haben Sie es ja doch auch getan«, fügte sie lächelnd hinzu.
    »Ja, ja, ich hatte es nicht anders verdient!« rief ich, tief ergriffen. »Oh, Sie kennen noch nicht die ganze Abgrundtiefe meines Falles!«
    »Nun, am Ende gar Abgrundtiefe! Da erkenne ich IhreAusdrucksweise wieder«, bemerkte sie lächelnd. »Dieser Brief«, fügte sie traurig hinzu, »war die traurigste, leichtfertigste Handlung meines ganzen Lebens. Das

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