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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Freund. Ja, sie ist ein sehr liebes, kluges Mädchen. Mais brisons là, mon cher. Ich fühle mich heute ganz merkwürdig schlecht – ob es Hypochondrie ist? Ich führe es auf die Hämorrhoiden zurück. Wie steht es denn zu Hause? So einigermaßen? Du hast dich mit ihnen natürlich ausgesöhnt, und ihr habt euch umarmt? Cela va sans dire. Ich werde manchmal geradezu traurig, wenn ich zu ihnen zurückkehre, selbst wenn der Spaziergang unerfreulich gewesen ist. Wahrhaftig, mitunter mache ich im Regen einen unnötigen Umweg, um nur möglichst spät in dieses Heim zurückzukommen ... Und langweilig ist es da, langweilig, o Gott!«
    »Mama ...«
    »Deine Mutter ist das vortrefflichste, beste Wesen von der Welt, mais ... Kurz, ich bin ihrer und Lisas wohl nicht wert. Übrigens, was ist denn heute eigentlich bei ihnen los? In den letzten Tagen sind die Frauenspersonen da alle so eigentümlich gewesen ... Weißt du, ich gebe mir immer Mühe, dergleichen zu ignorieren, aber heute muß da bei ihnen doch etwas passiert sein ... Du hast nichts bemerkt?«
    »Ich weiß absolut von nichts, und ich hätte überhaupt nichts bemerkt, wenn nicht diese verdammte Tatjana Pawlowna dazugekommen wäre, die sich immer mit mir herumbeißen muß. Aber Sie haben recht: da muß etwas passiert sein. Ich habe Lisa vorhin bei Anna Andrejewna getroffen; sie war auch dort schon so seltsam ... ich war ganz erstaunt über sie. Sie wissen wohl, daß sie mit Anna Andrejewna verkehrt?«
    »Ja, ich weiß es, mein Freund. Aber ... wann bist du denn heute bei Anna Andrejewna gewesen, ich meine um welche Stunde? Ich muß das wegen einer Feststellung wissen.«
    »Von zwei bis drei. Und denken Sie sich, als ich wegging, kam der Fürst ...«
    Und nun schilderte ich ihm meinen Besuch mit der größten Ausführlichkeit. Er hörte alles schweigend an; über die Möglichkeit einer Bewerbung des Fürsten um Anna Andrejewnas Hand äußerte er kein Wort; auf meine begeisterten Lobreden über Anna Andrejewna murmelte er wieder, sie sei ein liebes Mädchen.
    »Ich habe sie heute in großes Erstaunen versetzt durch die Mitteilung einer ganz frisch gebackenen Neuigkeit, die in der vornehmen Welt zirkuliert: daß Katerina Nikolajewna Achmakowa den Baron Bjoring heiraten wird«, sagte ich plötzlich, als wäre in meinem Innern auf einmal eine Schleuse aufgegangen.
    »Ja? Kannst du dir das vorstellen, sie hat mir diese selbe ›Neuigkeit‹ heute schon erzählt, vor zwölf Uhr, also erheblich früher, als du sie damit in Erstaunen versetzt hast.«
    »Was Sie sagen!« rief ich und blieb verwundert stehen. »Aber woher konnte sie es erfahren haben? Doch, was rede ich? Selbstverständlich konnte sie es früher erfahren haben als ich, aber denken Sie nur: sie hörte es von mir an, als sei es ihr eine vollständige Neuigkeit! Indessen ... was will ich denn? Es lebe die Toleranz! Man muß in toleranter Weise alle Charaktere gelten lassen, nicht wahr? Ich zum Beispiel hätte alles gleich weitererzählt; sie aber verwahrt es wie in einer Schnupftabaksdose ... Aber wenn auch, wenn auch, sie ist dennoch ein allerliebstes Wesen und ein vortrefflicher Charakter!«
    »Oh, ohne Zweifel, ein jeder in seiner Art! Und was das Originellste ist, diese vortrefflichen Charaktere verstehen es manchmal, einen ganz außerordentlich zu befremden; stell dir das vor: Anna Andrejewna verblüffte mich heute mit der Frage, ob ich Katerina Nikolajewna Achmakowa liebe oder nicht.«
    »Was für eine wunderliche, unglaubliche Frage!« rief ich, wieder wie vor den Kopf geschlagen. Es wurde mir sogardunkel vor Augen. Noch niemals hatte ich mit ihm von diesem Thema zu reden angefangen, und nun – tat er es von selbst ...
    »Welchen Grund gab sie denn für ihre Frage an?«
    »Gar keinen, mein Freund, absolut gar keinen; die Schnupftabaksdose wurde sogleich wieder geschlossen, noch dichter als vorher, und vor allem ist folgendes bemerkenswert: ein solches Gespräch mit mir habe ich immer für völlig ausgeschlossen angesehen, und sie ebenfalls ... Übrigens sagst du ja selbst, daß du sie kennst, und kannst daher beurteilen, wie ihr eine derartige Frage zu Gesicht steht ... Oder weißt du etwas darüber?«
    »Ich bin darüber ebenso verblüfft wie Sie. Es war wohl eine wunderliche Neugier, vielleicht ein Scherz?«
    »Oh, im Gegenteil, es war die ernsthafteste Frage, die man sich nur denken kann, und eigentlich nicht eine Frage, sondern beinahe sozusagen ein Verhör, und augenscheinlich aus ganz besonderen,

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