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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Leutnant sehr aufgeregt, spielte den Mutigen und renommierte; er behauptete, das sei unzulässig, wegen eines Fünfers und so weiter und so weiter. Aber schließlich fing er an, dem Schutzmann etwas zuzuflüstern. Der Schutzmann, ein vernünftiger Mensch und offenbar ein Feind von Straßenszenen, schien auf seiner Seite zu sein, aber doch nur in gewissem Sinne. Auf seine Fragen antwortete er ihm halblaut, jetzt ginge es nicht mehr, jetzt sei die Sache anhängig gemacht; »wenn Sie aber vielleicht um Entschuldigungbitten wollten und der Herr sich bereit fände, die Entschuldigung anzunehmen, dann könnte man wohl ...«
    »Na, hö–ören Sie mal, verehrter Herr, wo gehen wir denn hin? Ich frage Sie: wohin begeben wir uns, und was ist für ein Witz dabei?« schrie der Leutnant laut. »Wenn ein unglücklicher Mensch in seinem Mißgeschick bereit ist, um Entschuldigung zu bitten ... wenn Sie schließlich verlangen, daß er sich demütigt ... Hol's der Teufel, wir sind hier doch in keinem Salon, sondern auf der Straße! Für die Straße ist diese Entschuldigung ausreichend! ...«
    Wersilow blieb stehen und brach plötzlich in ein Gelächter aus; ich dachte schon beinahe, er hätte diese ganze Geschichte nur spaßeshalber in Szene gesetzt, aber dem war nicht so.
    »Ich nehme Ihre Bitte um Entschuldigung an, Herr Offizier, und bestätige Ihnen, daß Sie ein Mann mit Fähigkeiten sind. Handeln Sie so nur auch im Salon – bald wird ein solches Verhalten ja auch für den Salon vollkommen genügen –, einstweilen aber nehmen Sie hier diese beiden Zwanziger, trinken Sie dafür einen Schnaps und essen Sie etwas dazu! Entschuldigen Sie die Belästigung, Schutzmann; ich würde mich gern auch Ihnen für Ihre Mühe erkenntlich zeigen, aber die Schutzleute haben jetzt ein so vornehmes Wesen ... Mein Lieber«, wandte er sich an mich, »hier ist eine kleine Kneipe, in Wirklichkeit eine fürchterliche Kloake, aber man kann dort Tee trinken, und ich möchte dir den Vorschlag machen ... da ist sie schon gleich, komm nur!«
    Ich wiederhole: ich hatte ihn noch nie in solcher Erregung gesehen, obwohl sein Gesicht heiter aussah und geradezu strahlte; aber ich bemerkte, daß, als er die beiden Zwanziger aus dem Portemonnaie herausnehmen wollte, um sie dem Offizier zu geben, ihm die Hände zitterten und die Finger ihm absolut nicht gehorchen wollten, so daß er schließlich mich bat, das Geld herauszunehmen und dem Leutnant zu geben; ich kann das nicht vergessen.
    Er führte mich in ein kleines Kellerlokal am Kanal. Gäste waren nur wenige da. Ein verstimmtes, heiseres kleines Orchestrion spielte, es roch nach fettigen Servietten; wir setzten uns in eine Ecke.
    »Du weißt es vielleicht nicht? Aus Langeweile... aus schrecklicher seelischer Langeweile ... gehe ich manchmal gern in allerlei solche Kloaken. Diese ganze Einrichtung, diese holprige Arie aus der »Lucia«, diese Kellner in ihren unanständig unsauberen russischen Kostümen, dieser Tabaksqualm, dieses aus dem Billardzimmer hereintönende Geschrei, alles das ist so gemein und prosaisch, daß es nahezu ans Phantastische grenzt. Na also, wie steht es, mein Lieber? Dieser Marsjünger hat uns ja wohl gerade an der interessantesten Stelle unseres Gesprächs unterbrochen ... Aber da ist auch der Tee; ich liebe den Tee hier ... Denk dir nur, Pjotr Ippolitowitsch behauptete vorhin seinem andern, pockennarbigen Mieter gegenüber, es sei im vorigen Jahrhundert im englischen Parlament eigens eine Kommission von Juristen eingesetzt worden, um den ganzen Prozeß Christi vor dem Hohenpriester und Pilatus zu revidieren, einzig und allein, um festzustellen, wie die Sache nach unseren Gesetzen abgelaufen wäre, und alles sei in feierlichster Form, mit Advokaten, Staatsanwälten und so weiter, durchgeführt worden ... na, und die Geschworenen hätten sich genötigt gesehen, ein verurteilendes Verdikt zu fällen ... Eine wunderliche Geschichte! Der dumme Kerl, der Mieter, betritt die Sache, erboste sich, überwarf sich mit seinem Wirt und erklärte, er werde morgen ausziehen ... Die Wirtin fing an zu weinen, weil sie dadurch ihre Einnahme verliert ... Mais passons! In diesen kleinen Kneipen werden manchmal Nachtigallen gehalten. Kennst du die alte Moskauer Anekdote à la Pjotr Ippolitowitsch? In einer Moskauer Kneipe singt eine Nachtigall; es kommt ein Kaufmann herein, so einer mit dem Grundsatz: ›Was mir Spaß macht, darf mir niemand verwehren.‹ Er fragt: ›Was kostet die Nachtigall?‹ –

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