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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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heute angedeutet hat, daß er mich liebt?«
    »Das hat der Betreffende bloß gesagt, um sich über dich lustig zu machen!« fiel Tatjana Pawlowna mit ganz unnatürlicher Bosheit ein, gerade als hätte sie nur auf diese Worte von mir gewartet. »Ja; jeder Mensch mit Anstandsgefühl und besonders jede Frau muß sich schon allein durch deinen seelischen Schmutz abgestoßen fühlen. Du trägst einen modischen Scheitel, feine Wäsche, Anzüge von einem französischen Schneider, und das alles ist weiter nichts alsSchmutz! Wer bezahlt deine Kleider, wer bezahlt dein Essen, wer gibt dir das Geld zum Roulettspielen? Denk daran, wer es ist, von dem du dich nicht schämst es anzunehmen!«
    Mama wurde dabei so rot, daß ich einen solchen Ausdruck von Scham noch nie auf ihrem Gesicht gesehen hatte. Es ging mir durch und durch.
    »Wenn ich Geld verschwende, so verschwende ich mein eigenes Geld und bin niemandem Rechenschaft darüber schuldig«, sagte ich scharf und errötete über das ganze Gesicht.
    »Dein eigenes? Wieso?«
    »Wenn es nicht mir gehört, so gehört es Andrej Petrowitsch. Er wird es mir nicht abschlagen ... Ich habe es mir von dem Fürsten a conto seiner Schuld an Andrej Petrowitsch geben lassen ....«
    »Mein Freund«, sagte Wersilow auf einmal in festem Ton, »ich habe da auch nicht eine Kopeke eigenes Geld.«
    Das waren schwerwiegende Worte. Ich verstummte und saß starr auf meinem Platz. Oh, natürlich hätte ich bei meiner ganzen damaligen kecken, paradoxen und rücksichtslosen Stimmung mich durch einen »edlen Gefühlsausbruch« oder eine saftige Phrase oder sonstwie aus der Klemme ziehen können, aber auf einmal gewahrte ich auf Lisas finsterem Gesicht einen bösen, anklagenden Ausdruck, einen ungerechten, beinahe höhnischen Ausdruck, und da ritt mich der Teufel.
    »Wie es scheint, mein Fräulein«, wandte ich mich plötzlich an sie, »besuchen Sie ja oft Darja Onissimowna in der Wohnung des Fürsten? Möchten Sie da nicht die Güte haben, ihm diese dreihundert Rubel einzuhändigen, um derentwillen Sie mich heute schon so gescholten haben?«
    Ich zog das Geld aus der Tasche und reichte es ihr hin. Na, ob man es glaubt oder nicht, ich sagte diese unwürdigen Worte damals ohne jede böse Absicht, das heißt, ohne damit die geringste Anspielung auf irgend etwas machen zu wollen. Und eine solche Anspielung war ja auch ganz ausgeschlossen, weil ich in diesem Augenblick absolut nichts wußte. Vielleicht wollte ich ihr nur einen kleinen, verhältnismäßig harmlosen Hieb versetzen, etwa in folgendemSinne: Wenn Sie, mein Fräulein, sich unbedingt in Dinge einmischen müssen, die Sie nichts angehen, möchten Sie dann nicht selbst diesen Fürsten, einen jungen Mann und Petersburger Offizier, besuchen und ihm dieses Geld einhändigen, da Sie nun einmal solche Lust haben, sich mit den Angelegenheiten junger Männer abzugeben? Aber wie groß war mein Erstaunen, als Mama plötzlich aufstand, drohend ihren Finger hob und mir zurief:
    »Untersteh dich nicht! Untersteh dich nicht!«
    So etwas hätte ich von ihr nie für möglich gehalten; ich sprang ebenfalls auf, nicht so sehr vor Schreck als vor Betrübnis, wie wenn mein Herz eine schmerzliche Wunde empfangen hätte, denn ich erriet auf einmal, daß sich etwas sehr Ernstes zugetragen haben mußte. Aber Mama bewahrte nicht lange ihre drohende Haltung: sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und verließ schnell das Zimmer. Lisa folgte ihr, ohne mir auch nur einen Blick zuzuwerfen. Tatjana Pawlowna sah mich etwa eine halbe Minute lang schweigend an.
    »Hast du wirklich einen Skandal anrichten wollen?« rief sie rätselhaft, indem sie mich mit höchstem Erstaunen anblickte; dann aber lief sie, ohne eine Antwort abzuwarten, ebenfalls hinter den andern her. Wersilow stand mit zürnender, fast grimmiger Miene vom Tisch auf und griff nach seinem Hut in der Ecke.
    »Ich nehme an, daß du gar nicht so dumm, sondern nur sehr harmlos bist«, sagte er spöttisch. »Wenn sie kommen, so sage ihnen, sie möchten mit der süßen Speise nicht auf mich warten: ich will ein bißchen spazierengehen.«
    Ich blieb allein; zuerst kam mir alles sonderbar vor, dann fühlte ich mich beleidigt, und dann gelangte ich zu der deutlichen Einsicht, daß ich mir etwas hatte zuschulden kommen lassen. Übrigens wußte ich nicht, worin meine eigentliche Schuld bestand, aber ich hatte doch so ein Gefühl. Ich saß am Fenster und wartete. Nachdem ich ungefähr zehn Minuten gewartet hatte, nahm ich ebenfalls

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