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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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beide Hände hin und errötete im selben Augenblick. Schweigend führte sie mich in ihr Zimmer, setzte sich wieder an ihre Handarbeit und wies mir einen Platz neben sich an; aber sie machte sich nicht wieder an ihre Näherei, sondern fuhr fort, mich mit derselben warmen Teilnahme anzusehen, ohne ein Wort zu sprechen.
    »Sie haben Darja Onissimowna zu mir geschickt«, begann ich unvermittelt; ich fühlte mich durch diese allzu stark herausgekehrte Teilnahme peinlich berührt, obwohl sie mich angenehm kitzelte.
    Sie fing auf einmal an zu sprechen, ohne auf meine Frage zu antworten.
    »Ich habe alles gehört, ich weiß alles. Das muß eine furchtbare Nacht gewesen sein ... Oh, wieviel haben Sie leiden müssen! Ist es wahr, ist es wahr, daß Sie schon bewußtlos waren, als man Sie in der Kälte fand?«
    »Das hat Ihnen ... gewiß Lambert ...«, murmelte ich errötend.
    »Ich habe gleich damals von ihm alles erfahren; aber ich wartete auf Sie. Oh, wie erschrocken er war, als er zu mir kam! In Ihrer Wohnung ... dort, wo Sie krank lagen, wollte man ihn nicht zu Ihnen lassen ... man empfing ihn ganz sonderbar ... Ich weiß allerdings nicht, wie das im einzelnen zugegangen ist, aber er hat mir allerlei von jener Nacht erzählt: er sagte, Sie hätten, gleich nachdem Sie die Besinnung wiedererlangt hätten, von mir und ... von Ihrer Anhänglichkeit mir gegenüber gesprochen. Ich war bis zu Tränen gerührt, Arkadij Makarowitsch, und weiß gar nicht, wodurch ich ein so warmes Interesse von Ihrer Seite verdient habe, und noch dazu in einer solchen Lage, wie damals die Ihrige war! Sagen Sie, Herr Lambert ist ein Jugendfreund von Ihnen?«
    »Ja. Aber dieser Fall ... ich muß gestehen, ich bin unvorsichtig gewesen und habe ihm vielleicht damals zuviel gesagt.«
    »Oh, von dieser schmutzigen, schrecklichen Intrige hätte ich auch ohne ihn erfahren. Ich habe das immer, immer geahnt, daß man Sie so weit bringen würde. Sagen Sie einmal, ist es wahr, daß Bjoring gewagt hat, die Hand gegen Sie zu erheben?«
    Sie redete so, als ob nur Bjoring und sie die Schuld an meiner kritischen Situation an der Mauer trügen. ›Da hat sie ja auch recht‹, dachte ich im stillen; aber ich fuhr auf:
    »Wenn er die Hand gegen mich erhoben hätte, so wäre er nicht ungestraft davongekommen, und ich säße jetzt nicht vor Ihnen, ohne mich gerächt zu haben«, antwortete ich hitzig. Vor allen Dingen hatte ich die Empfindung, daß sie mich zu irgendeinem Zweck reizen, mich gegen jemand aufhetzen wollte (übrigens war es ja klar, gegen wen); aber dennoch ging ich darauf ein.
    »Wenn Sie sagen, Sie hätten es vorhergesehen, daß man mich so weit bringen würde, so lag von Seiten Katerina Nikolajewnas selbstverständlich nur ein Mißverständnis vor ... freilich hat sie gar zu schnell ihre guten Gefühle gegen mich mit diesem Mißverständnis vertauscht ...«
    »Das ist es eben, daß sie das gar zu schnell getan hat!«fiel Anna Andrejewna mit geradezu enthusiastischem Mitgefühl ein. »Oh, wenn Sie wüßten, was da jetzt für eine Intrige gesponnen wird! Sie werden es sich natürlich nur schwer vorstellen können, Arkadij Makarowitsch, wie peinlich meine Lage ist«, fuhr sie, errötend und mit niedergeschlagenen Augen, fort. »Seit damals, gleich an dem Vormittag, als ich Sie zum letztenmal sah, habe ich einen Schritt getan, den nicht jeder so zu verstehen und zu begreifen fähig ist, wie ihn ein Mensch mit Ihrer ungetrübten Urteilskraft, mit Ihrem liebenden, unverdorbenen, frischen Herzen verstehen würde. Seien Sie überzeugt, mein Freund, daß ich Ihre Anhänglichkeit zu würdigen weiß und sie Ihnen durch ewige Dankbarkeit lohnen werde. In der höheren Gesellschaft wird natürlich gar mancher einen Stein gegen mich aufheben, und gar mancher hat es schon getan. Aber selbst wenn diese Leute von ihrem abscheulichen Standpunkt aus recht hätten, wer von ihnen könnte, wer dürfte es wagen, den Stab über mich zu brechen? Mein Vater hat mich verlassen, als ich noch ein kleines Kind war; wir Wersilows sind eine alte, vornehme russische Familie, aber wir haben keine Bleibe, und ich esse bei fremden Leuten das Brot, das sie mir aus Barmherzigkeit geben. War es da nicht ganz natürlich, daß ich mich an den Mann wandte, der schon seit meiner Kindheit Vaterstelle an mir vertreten hat, dessen Güte ich so viele Jahre selbst erfahren habe? Meine Gefühle für ihn kennt nur Gott, nur er kann über sie Richter sein; der Welt gestehe ich nicht das Recht zu, über den

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