Der Jüngling
höchst befremdet; er sah mich mit einem schrecklich einschmeichelnden Lächeln an.
»Ach ja, und dann war noch jemand da und fragte nach Ihnen – diese Mamsell, die Französin, Mamsell Alfonsina de Verdaigne. Ach, wie schön die singt, und auch Verse deklamiert sie ganz prächtig! Sie fuhr damals heimlich zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch nach Zarskoje Selo; sie sagte, sie wolle ihm ein Hündchen verkaufen, ein seltenes Tierchen, ganz schwarz, nur so groß wie eine Faust ...«
Ich bat ihn, mich allein zu lassen, und gab vor, daß ich Kopfschmerzen hätte. Er tat sofort, was ich wünschte, sogar ohne den angefangenen Satz zu Ende zu sprechen, und zwar nicht nur ohne die geringste Empfindlichkeit, sondern beinahe mit Vergnügen, und machte dabei eine geheimnisvolle Geste mit der Hand, als wollte er sagen: »Ich verstehe, ich verstehe«, und obwohl er das nicht sagte, so ging er doch auf den Zehenspitzen aus dem Zimmer; dieses Vergnügen gönnte er sich. Es gibt doch auf der Welt Leute, über die man sich gar zu sehr ärgern muß.
Ich saß allein in meinem Zimmer und dachte anderthalb Stunden lang nach; übrigens dachte ich nicht nach, sondern war nur in Gedanken versunken. Ich befand mich zwar in starker Erregung, war aber in keiner Weise verwundert.Ich hatte sogar noch Seltsameres erwartet, noch größere Wunder. ›Vielleicht haben sie die auch schon zuwege gebracht‹, dachte ich. Ich war schon längst, schon als ich noch zu Hause war, fest davon überzeugt gewesen, daß sie ihre Maschine angelassen hatten und diese in vollem Gang war. ›Nun fehlt ihnen weiter nichts mehr als ich‹, dachte ich wieder mit einer Art von nervöser, angenehmer Selbstzufriedenheit. Daß sie auf mich mit der größten Begierde warteten und in meiner Wohnung irgend etwas anzustellen beabsichtigten, das war sonnenklar. ›Vielleicht die Hochzeit des alten Fürsten? Auf ihn zielt ja doch die ganze Treibjagd ab. Aber ob ich es erlauben werde, meine Herrschaften, das ist noch die Frage!‹ schloß ich wieder mit hochmütiger Freude.
›Wenn ich anfange, werde ich auch sogleich wieder in den Strudel hineingezogen wie ein Spänchen. Bin ich denn jetzt, in diesem Augenblick, frei, oder bin ich nicht mehr frei? Kann ich, wenn ich heute abend zu Mama heimkehre, mir noch wie alle diese Tage sagen: Ich bin mein eigener Herr?‹
Das war die Quintessenz der Fragen, die ich mir vorlegte, oder, richtiger gesagt, meines unruhigen Herzklopfens während der anderthalb Stunden, die ich damals in der Ecke auf meinem Bett saß, mit den Ellbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt. Aber ich wußte ja, ich wußte auch damals schon, daß alle diese Fragen der reine Unsinn waren und daß das, was mich zog, nur sie war, sie, einzig und allein sie! Endlich habe ich das gerade herausgesagt und mit der Feder auf dem Papier niedergeschrieben, denn selbst jetzt, wo ich dies schreibe, ein Jahr später, weiß ich noch nicht, mit welchem Namen ich mein damaliges Gefühl bezeichnen soll!
O gewiß, Lisa tat mir leid, und mein Herz war von aufrichtigem Schmerz erfüllt! Und nur dieses Gefühl des Schmerzes um sie hätte, wie ich glaube, den Raubtiertrieb (ich bediene mich wieder dieses Ausdrucks) in mir wenigstens für einige Zeit besänftigen oder auslöschen können. Aber mich riß eine maßlose Neugier fort und eine Art von Furcht und noch ein Gefühl – ich weiß nicht, was es für eines war, aber ich weiß und wußte schon damals, daß eskein gutes Gefühl war. Vielleicht verlangte es mich danach, ihr zu Füßen zu fallen; vielleicht aber wollte ich sie auch allen Qualen aussetzen und ihr »so schnell wie möglich, so schnell wie möglich« etwas beweisen. Kein Schmerz um Lisa und kein Mitleid mit Lisa konnte mich mehr aufhalten. Nun, konnte ich etwa unter solchen Umständen aufstehen und nach Hause gehen ... zu Makar Iwanowitsch?
›Aber ist es denn nicht möglich, daß ich nur zu ihnen hingehe, von ihnen alles in Erfahrung bringe und dann auf einmal von ihnen für immer weggehe, allen Wundern und Ungeheuern unbeschädigt ausweichend?‹
Um drei Uhr sammelte ich meine Gedanken, stellte fest, daß ich mich beinahe schon verspätet hatte, ging schnell hinaus, nahm mir eine Droschke und fuhr eilig zu Anna Andrejewna.
Fünftes Kapitel
I
Anna Andrejewna warf, sowie ich ihr gemeldet wurde, sogleich ihre Näharbeit hin und kam mir schnell bis ins erste Zimmer entgegen, um mich zu begrüßen, was sie früher nie getan hatte. Sie streckte mir
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