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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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öffnete sich die Tür, und Lisa trat herein. Sie wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als sie uns beide zusammen sah.
    »Du bist hier? Also du bist hier?« rief sie, während ihr Gesicht sich plötzlich verzerrte, und sie ergriff mich bei den Armen. »Also ... du weißt es ?«
    Aber sie las es schon auf meinem Gesicht, daß ich »es wußte«. In unwiderstehlicher innerer Bewegung umarmte ich sie schnell und drückte sie fest und innig an meine Brust! Und in diesem Augenblick begriff ich zum erstenmal in vollem Ausmaß, was für ein unabwendbares, endloses Leid ohne einen lichten Morgen für alle Zeit auf dem Schicksal dieser freiwilligen Märtyrerin lastete.
    »Ist es denn möglich, jetzt mit ihm zu reden?« rief sie, sich plötzlich von mir losreißend. »Ist es denn möglich, mit ihm zusammen zu sein? Warum bist du hier? So sieh ihn doch an, sieh ihn an! Ist es denn möglich, ihn zu verdammen?«
    Ein unendliches Leid und ein unendliches Mitleid prägten sich auf ihrem Gesicht aus, als sie bei diesen herausgeschrienen Worten auf den Unglücklichen zeigte. Er saß im Lehnstuhl, das Gesicht mit den Händen bedeckend. Und sie hatte recht: das war ein Mensch im Fieberdelirium, der für nichts zur Verantwortung gezogen werden konnte. Er wurde noch an demselben Vormittag ins Lazarett gebracht, und am Abend war bei ihm schon eine Gehirnentzündung zum Ausbruch gekommen.

IV
     
    Von dem Fürsten, den ich verließ, während Lisa bei ihm zurückblieb, fuhr ich gegen ein Uhr mittags nach meiner früheren Wohnung. Ich habe vergessen zu sagen, daß esein feuchter, trüber Tag war, mit beginnendem Tauwetter und mit einem warmen Wind, der sogar die Nerven eines Elefanten hätte in Unordnung bringen können. Mein Wirt begrüßte mich mit lebhafter Freude und mit großer Betulichkeit und Geschäftigkeit, was mir gerade bei solchen Gelegenheiten im höchsten Grade zuwider ist. Ich benahm mich ihm gegenüber kühl und ging geradeswegs in mein Zimmer; aber er folgte mir dorthin, und obwohl er nicht wagte, mir Fragen vorzulegen, so funkelten ihm doch die Augen nur so von Neugier, und er sah außerdem so aus, als hätte er sogar schon ein Recht darauf, neugierig zu sein. Ich mußte um meines eigenen Vorteils willen höflich zu ihm sein; aber obgleich ich von ihm unbedingt etwas in Erfahrung bringen mußte (und ich wußte schon, was ich erfahren würde), so widerstrebte es mir doch, mit dem Fragen den Anfang zu machen. Ich erkundigte mich nach dem Befinden seiner Frau, und wir gingen zu ihr. Diese empfing mich zwar sehr zuvorkommend, aber mit außerordentlich geschäftsmäßigem, schweigsamem Gesicht; das versöhnte mich wieder ein wenig.
    Um es kurz zu machen, ich erfuhr diesmal sehr wunderbare Dinge.
    Selbstverständlich war Lambert dagewesen, aber dann war er noch zweimal gekommen und »hatte sich alle Zimmer angesehen«, angeblich, weil er vielleicht eines mieten werde. Auch Darja Onissimowna war mehrere Male dagewesen, Gott weiß warum; »sie war ebenfalls sehr neugierig«, fügte mein Wirt hinzu. Aber ich machte ihm nicht die Freude, ihn zu fragen, worauf sie neugierig gewesen sei. Überhaupt fragte ich ihn nicht aus, sondern er führte das Gespräch ganz allein, und ich tat, als kramte ich in meinem Koffer herum (in dem in Wirklichkeit fast nichts mehr drin war). Aber am meisten ärgerte ich mich darüber, daß auch er auf den Einfall kam, den Geheimnisvollen zu spielen, und, als er merkte, daß ich mich aller Fragen enthielt, es gleichfalls für seine Pflicht hielt, wortkarger zu werden und beinahe in Rätseln zu sprechen.
    »Das Fräulein ist auch dagewesen«, fügte er hinzu, indem er mich mit einem seltsamen Blick ansah.
    »Was für ein Fräulein?«
    »Anna Andrejewna; zweimal ist sie dagewesen; sie hat sich auch mit meiner Frau bekannt gemacht. Eine liebenswürdige Person von sehr angenehmem Wesen. Auf eine solche Bekanntschaft kann man geradezu stolz sein, Arkadij Makarowitsch ...« Nach diesen Worten tat er sogar einen Schritt auf mich zu: es lag ihm offenbar sehr daran, daß ich etwas begriff.
    »Ist sie wirklich zweimal hier gewesen?« fragte ich erstaunt.
    »Das zweitemal kam sie mit ihrem Bruder zusammen.«
    ›Das heißt mit Lambert‹, dachte ich unwillkürlich.
    »Nein, nicht mit Herrn Lambert«, sagte er, meinen Gedanken mit solcher Sicherheit erratend, als ob er mit seinen Augen in meine Seele hineinschaute, »sondern mit ihrem wirklichen Bruder, dem jungen Herrn Wersilow. Er ist ja wohl Kammerjunker?«
    Ich war

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