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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hier, jetzt, diese ganze Zeit über bedeutet hat!« rief er auf einmal und griff sich dabei mit beiden Händen an den Kopf.
    »Sergej Petrowitsch, wollen Sie sie denn wirklich zugrunde richten und mit sich nehmen? Nach Cholmogory!« Diese Frage entfuhr mir unwillkürlich, und ich konnte sie nicht zurückhalten. Lisas Schicksal, lebenslänglich an der Seite dieses Irrsinnigen, kam mir plötzlich klar und gleichsam zum erstenmal zum Bewußtsein. Er sah mich an, stand von neuem auf, machte ein paar Schritte im Zimmer, drehte dann um und setzte sich wieder hin; dabei hielt er sich immer den Kopf mit den Händen.
    »Ich träume immer von Spinnen!« sagte er plötzlich.
    »Sie befinden sich in einer schrecklichen Aufregung; ich würde Ihnen raten, Fürst, sich hinzulegen und einen Doktor holen zu lassen.«
    »Nein, erlauben Sie, das kommt erst später. Ich habe Sie hauptsächlich zu mir bitten lassen, um Ihnen das Erforderliche über die Trauung mitzuteilen. Wissen Sie, die Trauung wird hier, hier in der Kirche, stattfinden; ich habe bereits alles besprochen. Die Erlaubnis zu allem ist schon erteilt, und man redet mir sogar zu ... Was Lisa anlangt, so ...«
    »Fürst, lieber Fürst«, rief ich, »haben Sie doch Mitleid mit Lisa, quälen Sie sie wenigstens jetzt nicht, seien Sie nicht eifersüchtig!«
    »Wie!« schrie er, indem er mich mit weitaufgerissenen Augen starr ansah und das ganze Gesicht zu einem breiten, sinnlos fragenden Lächeln verzerrte. Offenbar hatte der Ausdruck: »Seien Sie nicht eifersüchtig!« aus irgendeinem Grund auf ihn einen furchtbaren Eindruck gemacht.
    »Verzeihen Sie, Fürst, ich habe das nur so unüberlegt gesagt. O Fürst, in der letzten Zeit habe ich einen alten Mann kennengelernt, meinen nominellen Vater ... Oh, wenn Sie ihn sähen, dann würden Sie ruhiger sein ... Auch Lisa schätzt ihn sehr hoch.«
    »Ach ja, Lisa ... ach ja, das ist Ihr Vater? Oder ... pardon, mon cher, so etwas Ähnliches ... Ich erinnere mich ... sie hat mir davon erzählt ... ein altes Männchen ... Ich bin davon überzeugt, ich bin davon überzeugt. Ich habeauch so ein altes Männchen gekannt ... Mais passons, vor allen Dingen müssen wir, um die ganze Wichtigkeit des Augenblicks zu erkennen ...«
    Ich stand auf, um wegzugehen; es war mir schmerzlich, ihn anzusehen.
    »Ich verstehe nicht!« sagte er in strengem, würdevollem Ton, als er sah, daß ich weggehen wollte.
    »Es ist mir schmerzlich, Sie anzusehen«, sagte ich.
    »Arkadij Makarowitsch, ein Wort, nur noch ein Wort!« sagte er mit ganz anderer Miene und Haltung, indem er mich bei den Schultern faßte und mich nötigte, mich auf einen Lehnstuhl zu setzen. »Haben Sie schon das von diesen jungen Leuten gehört, Sie verstehen?« fragte er, sich zu mir herabbeugend.
    »Ach ja, Dergatschew! Da steckt gewiß Stebelkow dahinter!« rief ich, unfähig, mich zu beherrschen.
    »Ja, Stebelkow und ... Sie wissen nichts?«
    Er brach ab und starrte mich wieder mit denselben weitaufgerissenen Augen und mit demselben breiten, krampfhaften, sinnlos fragenden Lächeln an, bei dem sich seine Mundwinkel immer weiter auseinanderzogen. Sein Gesicht wurde allmählich blasser. Auf einmal lief mir ein Schütteln durch den Leib: ich dachte an den Blick, mit dem mich Wersilow tags zuvor angesehen hatte, als er mir von Wassins Verhaftung Mitteilung machte.
    »Oh, wirklich?« rief ich erschrocken.
    »Sehen Sie, Arkadij Makarowitsch, ich habe Sie eben deshalb bitten lassen, um Ihnen das zu erklären ... ich wollte ...«, begann er hastig zu flüstern.
    »Also Sie, Sie haben Wassin denunziert?« rief ich.
    »Nein, sehen Sie, es war da ein Manuskript. Wassin hatte es kurz vor dem letzten Tag Lisa übergeben ... zur Aufbewahrung. Die aber ließ es mir hier zum Durchsehen, und dann geschah es am folgenden Tag, daß sie sich miteinander überwarfen ...«
    »Sie haben das Manuskript der Behörde zugestellt!«
    »Arkadij Makarowitsch, Arkadij Makarowitsch!«
    »Und also haben Sie«, rief ich aufspringend und jedes Wort scharf betonend, »also haben Sie ohne jeden anderen Beweggrund, ohne jeden anderen Zweck, einzig und alleinweil der unglückliche Wassin Ihr Nebenbuhler war, nur aus Eifersucht das Manuskript, das Lisa anvertraut war , ausgeliefert ... und wem ausgeliefert? Wem? Dem Staatsanwalt?«
    Aber er antwortete nicht und hätte auch kaum antworten können, denn er stand vor mir wie ein Götzenbild, immer mit demselben krankhaften Lächeln und demselben starren Blick; aber auf einmal

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