Der Jüngling
beschuldigt. Ich füge noch hinzu, daß die Tatsache der Existenz des Briefes auf Katerina Nikolajewna ebenfalls unvergleichlich stärker wirkte, als ich selbst es erwartet hatte ... Kurz, es stellte sich heraus, daß dieses Blatt Papier weit wichtiger war, als ich selbst, der ich es in der Tasche trug, annahm. Aber damit habe ich schon gar zu weit vorgegriffen.
Aber warum denn, wird man fragen, gerade in meine Wohnung? Warum wollte sie den Fürsten in unsere kläglichen Stübchen bringen und ihn vielleicht durch die ganze Kümmerlichkeit, die er bei uns um sich sah, erschrecken? Wenn sie ihn schon nicht in sein Haus bringen konnte (denn dort hätte man all ihre Pläne mit einemmal durchkreuzen können), warum dann nicht in eine andere gute Wohnung, wie es Lambert vorgeschlagen hatte? Aber gerade darin lag die ganze Chance des ungewöhnlichen Schrittes, den Anna Andrejewna unternahm.
Hauptsächlich kam es darauf an, dem Fürsten gleich nach seiner Ankunft das Schriftstück vorzulegen; nun aber gab ich dieses um keinen Preis heraus. Da jedoch keine Zeit zu verlieren war, entschloß sich Anna Andrejewna im Vertrauen auf ihre Macht, die Sache auch ohne das Schriftstück in Angriff zu nehmen, aber unter der Voraussetzung, daß sie den Fürsten direkt zu mir brachte – und zu welchem Zweck? Der Zweck dabei war, durch diesen Schritt gleichzeitig auch mich zu überrumpeln und sozusagen nach der landläufigen Redensart zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie rechnete darauf, daß die plötzliche, heftige Gemütserschütterung auch bei mir ihre Wirkung nicht verfehlen werde. Ihre Spekulation war diese: wenn ich den alten Herrn in meiner Wohnung erblickte, seine Angst undHilflosigkeit sähe und die vereinten Bitten aller hörte, dann würde ich nachgeben und das Schriftstück vorlegen! Ich muß gestehen – die Berechnung war schlau und klug und psychologisch richtig; mehr noch: sie wäre beinahe von Erfolg gekrönt gewesen ... Was den alten Mann betraf, so bestand das Mittel, durch das ihn Anna Andrejewna damals überredete und ihn veranlaßte, ihr aufs Wort zu glauben, eben in dem Hinweis darauf, daß sie ihn zu mir bringen werde. Alles das habe ich in der Folgezeit erfahren. Schon allein die Mitteilung, daß dieses Schriftstück sich in meinem Besitz befinde, hatte in seinem schüchternen Herzen die letzten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Tatsache verscheucht – so sehr liebte und schätzte er mich!
Ich merke noch an, daß Anna Andrejewna selbst keinen Augenblick daran zweifelte, daß das Schriftstück sich noch in meinem Besitz befand und ich es noch nicht aus den Händen gegeben hatte. Ein Hauptpunkt war, daß sie meinen Charakter falsch einschätzte und in zynischer Weise auf meine Unschuld, meine Gutherzigkeit, ja sogar auf meine Empfindsamkeit rechnete; andrerseits aber nahm sie an, daß ich, selbst wenn ich mich entschlösse, den Brief zum Beispiel Katerina Nikolajewna auszuhändigen, dies nur unter ganz besonderen Umständen tun würde, und dem Eintreten eben dieser Umstände beeilte sie sich durch einen plötzlichen, überraschenden Schlag zuvorzukommen.
Und schließlich war sie in diesem ganzen Plan noch von Lambert bestärkt worden. Ich habe schon gesagt, daß Lamberts Situation zu diesem Zeitpunkt höchst kritisch war: dieser Verräter wünschte lebhaft, mich Anna Andrejewna abspenstig zu machen, damit ich mit ihm zusammen das Schriftstück an Frau Achmakowa verkaufte, was er aus einem bestimmten Grund für vorteilhafter hielt. Aber da ich das Schriftstück bis zum letzten Augenblick um keinen Preis herausgab, so beschloß er, notfalls auch mit Anna Andrejewna zusammen zu operieren, um nicht jedes Vorteils verlustig zu gehen, und drängte ihr deshalb bis zur letzten Stunde mit Gewalt seine Dienste auf, und ich weiß, daß er ihr sogar anbot, ihr, falls es erforderlich würde, einen Geistlichen zu besorgen ... Aber Anna Andrejewna bat ihn mit einem geringschätzigen Lächeln, davon nicht weiterzu reden. Lambert kam ihr furchtbar ungebildet vor und erweckte ihren größten Widerwillen; aber vorsichtshalber nahm sie doch seine Dienste an, die zum Teil in Spionage bestanden. Apropos, ich weiß auch heute noch nicht sicher, ob sie meinen Wirt Pjotr Ippolitowitsch bestochen haben oder nicht und ob er von ihnen damals etwas für seine Dienste bekommen hat oder bloß so aus Vergnügen am Intrigieren in ihren Bund eingetreten ist; aber jedenfalls spionierte auch er mir nach, und ebenso seine Frau – das
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