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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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zu verfolgen, als vielmehr, um Sie selbst wiederzusehen. Ich habe sogar selbst schon seit langer Zeit sehr gewünscht, mit Ihnen zusammenzukommen. Aber ich finde jetzt, daß Sie derselbe geblieben sind, der Sie früher waren«, fügte sie, wie von einem besonderen, entschiedenen Gedanken und sogar von einem seltsamen, plötzlichen Gefühl hingerissen, auf einmal hinzu.
    »Und Sie hatten gehofft, mich als einen andern wiederzusehen? Und das nach meinem Brief über Ihre Verderbtheit? Sagen Sie, sind Sie ohne alle Furcht hierhergekommen?«
    »Ich bin hergekommen, weil ich Sie früher geliebt habe; aber hören Sie: ich bitte Sie, drohen Sie mir mit nichts, solange wir hier zusammen sind, und erinnern Sie mich nicht an meine schlimmen Gedanken und Empfindungen. Wenn Sie imstande wären, mit mir von etwas anderem zu sprechen, so würde mich das sehr freuen. Sparen Sie die Drohungen für ein andermal, und lassen Sie uns jetzt von etwas anderem reden ... Ich bin wirklich hergekommen, um Sie einen Augenblick zu sehen und zu hören. Nun, und wenn Sie dazu nicht imstande sind, so töten Sie mich gleich;nur drohen Sie mir nicht und martern Sie sich nicht selbst vor meinen Augen!« schloß sie und blickte ihn mit einem seltsamen, erwartungsvollen Ausdruck an, als hielte sie es wirklich für möglich, daß er sie tötete. Er stand wieder vom Stuhl auf, richtete seinen brennenden Blick auf sie und sagte in festem Ton:
    »Sie werden von hier weggehen, ohne die geringste Kränkung erlitten zu haben.«
    »Ach ja, Sie haben ja Ihr Ehrenwort gegeben!« erwiderte sie lächelnd.
    »Nein, nicht nur deswegen, weil ich Ihnen in meinem Brief mein Ehrenwort gegeben habe, sondern weil ich die ganze Nacht über an Sie denken will und denken werde ...«
    »Sie wollen sich quälen?«
    »Wenn ich allein bin, stelle ich mir immer Ihr Bild vor. Ich tue weiter nichts, als mit Ihnen zu reden. Ich gehe in Kneipen und Spelunken, und wie zum Kontrast erscheinen Sie sofort vor meinem geistigen Auge. Aber Sie lachen immer über mich, wie Sie es auch jetzt tun ...« Er schien, während er das sagte, ganz außer sich zu sein ...
    »Niemals, niemals habe ich über Sie gelacht!« rief sie tief ergriffen und von innigem Mitleid erfüllt, das sich auf ihrem Gesicht ausprägte. »Wenn ich hergekommen bin, so habe ich nach Kräften alles zu vermeiden gesucht, was Sie kränken könnte«, fügte sie plötzlich hinzu. »Ich bin hierhergekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie beinahe liebe ... Verzeihen Sie, ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt«, fügte sie hastig hinzu.
    Er lachte auf.
    »Warum verstehen Sie nicht, sich zu verstellen? Warum sind Sie so schlicht und einfach, warum sind Sie nicht so wie alle Frauen? ... Wie kann man zu jemandem, den man wegjagt, sagen: ›Ich liebe Sie beinahe‹?«
    »Ich habe nur nicht verstanden, mich richtig auszudrücken«, sagte sie eilig. »Ich habe eine falsche Wendung gebraucht; das kommt daher, weil ich in Ihrer Gegenwart immer verlegen gewesen bin und nicht zu reden verstanden habe, schon von unserer ersten Begegnung an. Und wenn es auch mit Worten ungeschickt von mir gesagt war, daß ich ›Sie beinahe liebe‹, so habe ich es doch in Gedankenfast so gemeint – deshalb habe ich es ja auch gesagt, obwohl ich Sie nur mit so einer ... nun, mit so einer allgemeinen Liebe liebe, mit der man alle Menschen liebt und die zu bekennen man sich niemals zu schämen braucht ...«
    Er hörte schweigend zu, ohne seinen brennenden Blick von ihr abzuwenden.
    »Ich bete Sie an, natürlich«, sagte er wie außer sich. »In der Tat, das ist gewiß das, was man Leidenschaft nennt ... Ich weiß nur das eine, daß es mit mir zu Ende ist, wenn ich mit Ihnen zusammen bin, und wenn Sie nicht da sind, ebenfalls. Ganz gleich, ob Sie da sind oder nicht da sind, wo Sie auch sein mögen, Sie sind immer bei mir. Ich weiß auch, daß ich imstande bin, Sie sehr zu hassen, noch mehr als zu lieben ... Übrigens, ich denke schon seit langer Zeit an nichts mehr – mir ist alles gleich. Es tut mir nur leid, daß ich eine solche Frau wie Sie liebgewonnen habe ...«
    Die Stimme versagte ihm; er fuhr, nach Atem ringend, fort:
    »Was ist Ihnen? Befremdet es Sie, daß ich so spreche?« fragte er mit einem matten Lächeln. »Ich glaube, wenn ich Sie dadurch gewinnen könnte, würde ich irgendwo dreißig Jahre lang als Säulenheiliger auf einem Bein stehen ... Ich sehe, daß ich Ihnen leid tue; Ihr Gesicht sagt: ›Ich würde dich lieben, wenn ich es

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