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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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könnte, aber ich kann es nicht.‹ Ja? Nun, das tut nichts; ich besitze keinen Stolz. Ich bin bereit, wie ein Bettler jedes Almosen von Ihnen anzunehmen – hören Sie wohl: jedes ... Was kann ein Bettler für Stolz besitzen?«
    Sie stand auf und trat zu ihm hin.
    »Lieber Freund!« sagte sie, indem sie seine Schulter mit der Hand berührte; auf ihrem Gesicht prägte sich eine unbeschreibliche Empfindung aus. »Ich kann solche Reden nicht anhören! Ich werde mein ganzes Leben an Sie denken, als an einen sehr wertvollen Menschen, als an ein großes, edles Herz, als an etwas Heiliges unter all dem, was ich verehren und lieben kann. Andrej Petrowitsch, verstehen Sie doch, was ich sage: ich muß ja doch einen Grund gehabt haben, weswegen ich hierhergekommen bin, Sie lieber Mensch, mir sowohl einstmals als auch jetzt lieberMensch! Ich werde es nie vergessen, welchen tiefen Eindruck Sie bei unseren ersten Begegnungen auf mich gemacht haben. Lassen Sie uns als Freunde scheiden, und Sie werden mein Leben lang mein teuerster, liebster Gedanke sein.«
    »›Lassen Sie uns scheiden, dann werde ich Sie lieben; ich werde Sie lieben, nur lassen Sie uns scheiden!‹ Das ist der Sinn. Hören Sie«, sagte er mit ganz blassem Gesicht, »geben Sie mir noch ein Almosen: Sie brauchen mich nicht zu lieben, Sie brauchen nicht mit mir zu leben; wir wollen einander nie sehen; ich werde Ihr Sklave sein – sobald Sie mich rufen, und werde sofort verschwinden – wenn Sie mich nicht mehr sehen und hören wollen: nur ... nur heiraten Sie niemand! «
    Das Herz zog sich mir schmerzlich zusammen, als ich diese Worte hörte. Diese naive, entwürdigende Bitte war um so kläglicher und schnitt mir um so mehr ins Herz, als sie so unverhohlen geäußert wurde und so unerhört war. Ja gewiß, er bat um ein Almosen! Aber konnte er überhaupt glauben, daß sie einwilligen würde? Und doch hatte er sich zu einem Versuch erniedrigt, es mit einer Bitte versucht! Diesen letzten Grad des geistigen Verfalls anzusehen, war geradezu unerträglich. Alle Züge ihres Gesichts verzogen sich plötzlich vor Schmerz; aber ehe sie noch hatte ein Wort sagen können, war er schon wieder zur Besinnung gekommen.
    »Ich werde Sie vernichten! « sagte er auf einmal mit seltsamer, entstellter, fremd klingender Stimme.
    Aber sie antwortete ihm ebenfalls auf seltsame Art, ebenfalls mit einer Stimme, die mit ihrer gewöhnlichen gar keine Ähnlichkeit hatte:
    »Wenn ich Ihnen ein solches Almosen gäbe«, sagte sie in festem Ton, »so würden Sie sich an mir später noch schlimmer dafür rächen, als Sie es mir jetzt androhen; denn Sie werden es nie vergessen, daß Sie als ein solcher Bettler vor mir gestanden haben ... Ich kann keine Drohungen von Ihnen hören!« schloß sie beinahe entrüstet und sah ihn fast herausfordernd an.
    »›Drohungen von Ihnen‹, das heißt von einem solchen Bettler! Ich habe nur gescherzt«, sagte er leise mit einemLächeln. »Ich werde Ihnen nichts tun, seien Sie unbesorgt, gehen Sie ruhig ... und jenes Schriftstück werde ich mich eifrig bemühen Ihnen zuzustellen – nur gehen Sie jetzt, gehen Sie! Ich habe Ihnen einen dummen Brief geschrieben, und Sie haben auf den dummen Brief geantwortet und sind hergekommen – wir sind quitt. Bitte hier!« sagte er und zeigte auf die Tür (sie hatte schon durch das Zimmer gehen wollen, in dem ich hinter der Portiere stand).
    »Verzeihen Sie mir, wenn Sie können!« bat sie, in der Tür noch einmal stehenbleibend.
    »Und wie ist's? Wenn wir uns später einmal als die besten Freunde begegnen, werden wir uns dann auch dieser Szene mit herzlichem Lachen erinnern?« sagte er auf einmal; aber alle Muskeln seines Gesichts zuckten wie bei einem Menschen, der einen heftigen Anfall durchmacht.
    »Oh, das gebe Gott!« rief sie und faltete dabei die Hände vor der Brust, aber sie sah ihm dabei ängstlich ins Gesicht und schien enträtseln zu wollen, was er eigentlich gemeint hatte.
    »Gehen Sie nun! Wir haben alle beide viel Verstand, aber Sie ... Oh, Sie sind ganz von meinem Schlag! Ich habe Ihnen einen wahnsinnigen Brief geschrieben, und Sie haben eingewilligt herzukommen, um mir zu sagen, daß Sie ›mich beinahe lieben‹. Nein, Sie und ich, wir sind Patienten desselben Irrsinns! Wir sind prächtige Menschen! Bleiben Sie immer so irrsinnig, ändern Sie sich nicht, und wir werden noch als Freunde zusammenkommen – das prophezeie ich Ihnen, das schwöre ich Ihnen!«
    »Und dann werde ich Sie ganz bestimmt lieben, das

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