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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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haben Sie mich jemals geliebt, oder ... oder habe ich mich getäuscht?«
    Sie wurde rot.
    »Ich habe Sie geliebt«, antwortete sie.
    Das hatte ich erwartet, daß sie das sagen würde – oh, die Wahrheitsliebende, oh, die Aufrichtige, oh, die Ehrenhafte!
    »Und jetzt?« fuhr er fort.
    »Jetzt liebe ich Sie nicht mehr.«
    »Und Sie lachen über mich?«
    »Nein, ich lächelte soeben unwillkürlich, weil ich im voraus wußte, daß Sie fragen würden: ›Und jetzt?‹ Und darum lächelte ich, denn man lächelt ja immer, wenn man eine richtige Ahnung gehabt hat ...«
    Mir war ganz seltsam zumute; ich hatte sie noch nie so behutsam, ja beinahe schüchtern und verlegen gesehen. Er verschlang sie förmlich mit den Augen.
    »Ich weiß, daß Sie mich nicht lieben ... und – lieben Sie mich gar nicht?«
    »Vielleicht liebe ich Sie gar nicht. Ich liebe Sie nicht«, fügte sie mit fester Stimme, und jetzt ohne zu lächeln und zu erröten, hinzu. »Ja, ich habe Sie geliebt, aber nicht lange. Ich habe damals sehr bald aufgehört, Sie zu lieben.«
    »Ich weiß, ich weiß, Sie sahen, daß ich nicht das bin, was Sie brauchen, aber ... was brauchen Sie denn eigentlich? Erklären Sie mir das noch einmal ...«
    »Habe ich Ihnen denn das schon jemals erklärt? Was ich brauche? Ich bin eine ganz gewöhnliche Frau; ich bin eine ruhige Frau; ich liebe ... ich liebe heitere Menschen.«
    »Heitere Menschen?«
    »Sie sehen, daß ich nicht einmal verstehe, mit Ihnen zu reden. Ich glaube, wenn Sie es fertiggebracht hätten, mich weniger zu lieben, so würde ich Sie damals liebgewonnen haben«, sagte sie wieder mit einem zaghaften Lächeln. Die vollste Aufrichtigkeit leuchtete aus ihrer Antwort hervor, und sie merkte zweifellos, daß ihre Antwort die endgültige, alles erklärende und entscheidende Formel für ihre gegenseitigen Beziehungen war. Oh, das hätte doch auch er verstehen müssen! Aber er sah sie mit einem sonderbaren Lächeln an.
    »Ist Bjoring ein heiterer Mensch?« fragte er weiter.
    »Um den brauchen Sie sich keine Sorge zu machen«, versetzte sie mit einer gewissen Hast. »Ich heirate ihn nur, weil ich als seine Frau am ehesten ein ruhiges Leben haben werde. Meine ganze Seele behalte ich für mich.«
    »Man sagt, Sie hätten wieder an der vornehmen Gesellschaft und am geselligen Leben Geschmack gefunden?«
    »Nicht an der vornehmen Gesellschaft. Ich weiß, daß in unserer Gesellschaft dieselbe Ordnungslosigkeit herrscht wie überall; aber die äußeren Formen sind noch schön; wenn man daher lediglich leben will, um das Leben hinzubringen, so kann man das dort eher als sonstwo.«
    »Ich höre jetzt häufig das Wort ›Ordnungslosigkeit‹; Sie haben wohl damals auch über meine Ordnungslosigkeit, meine Büßerketten, meine Ideen und Dummheiten einen Schreck bekommen?«
    »Nein, so war das doch nicht ganz ...«
    »Wie war es denn? Um Gottes willen, sagen Sie mir alles offen und ehrlich!«
    »Nun, dann will ich es Ihnen offen und ehrlich sagen, weil ich Sie für einen großen Geist halte ... Es ist mir an Ihnen immer etwas lächerlich vorgekommen.«
    Als sie das gesagt hatte, wurde sie auf einmal dunkelrot, als würde sie sich bewußt, daß sie eine große Unvorsichtigkeit begangen hatte.
    »Sehen Sie, für das, was Sie mir da gesagt haben, kann ich Ihnen vieles verzeihen«, war seine seltsame Erwiderung.
    »Ich habe nicht zu Ende gesprochen«, fuhr sie, von Röte übergossen, eilig fort. »Ich bin es vielmehr, die lächerlichist ... schon deswegen, weil ich mit Ihnen wie eine Närrin spreche.«
    »Nein, Sie sind nicht lächerlich; Sie sind nur eine verdorbene Weltdame!« sagte er und wurde dabei erschreckend blaß. »Ich habe vorhin ebenfalls nicht zu Ende gesprochen, als ich Sie fragte, warum Sie hergekommen seien. Wollen Sie, daß ich zu Ende spreche? Es existiert da ein Brief, ein Schriftstück, und vor dem haben Sie eine gewaltige Angst, weil Ihr Vater, wenn er diesen Brief in die Hand bekommt, Sie möglicherweise noch zu seinen Lebzeiten verfluchen wird und Sie für den Fall seines Todes gesetzlich enterben kann. Sie haben Angst vor diesem Brief und sind wegen des Briefes hergekommen«, sagte er; er zitterte am ganzen Leib und klapperte beinahe mit den Zähnen. Sie hatte ihn mit kummervoller, schmerzlicher Miene angehört.
    »Ich weiß, daß Sie mir eine Menge Unannehmlichkeiten bereiten können«, sagte sie, als wehrte sie seine Worte von sich ab, »aber ich bin nicht so sehr hergekommen, um Sie zu bitten, mich nicht weiter

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