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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Wann war er zuletzt hier langgefahren? Im vorigen Sommer? Nein, es war schon zwei oder drei Sommer her. Zwei. Davor war er einige Male hier gewesen, vielleicht vor zehn Jahren und einmal sehr viel früher.
    Aus dem niedrigen Wald stiegen dieselben Düfte. Hier war der Wald immer niedrig, Saison für Saison, als ob er aufgehört hätte zu wachsen. Dann wurde er plötzlich hoch und dann licht. Dort, wo Johnny das Auto abstellte, hatte er sich in eine Weide verwandelt, die am hinteren Ende auffallend schmal wurde. Sie führte zu einer anderen Weide und danach zu noch einer.
    Johnny stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. In den höchsten Tannenwipfeln hinter ihm rauschte es leise. Eine Abendbrise war aufgekommen. Er ging die wenigen Schritte zu dem Holzzaun, und in der Ferne hörte er das weiche, dumpfe Trommeln von Pferdehufen auf dem Boden. Da, wo die Weide sich so auffallend verengte, als gäbe es dort einen Durchgang, sah er die Bewegung. Die Öffnung war überwuchert von Birkengestrüpp, so war es gewesen, solange er sich erinnern konnte.
    Er war zehn oder vielleicht elf gewesen, als er zum ersten Mal hier gewesen war, abgehauen, an einem Abend wie diesem, später August wie jetzt. Er war allein gewesen und auf den Zaun geklettert, der damals wie jetzt derselbe war, er hatte auf die andere Seite springen, durch diese Öffnung laufen und sich nie mehr umdrehen wollen. In dem Moment, als er springen wollte, sah er die Pferde durch die Öffnung dort hinten stürmen, das Geräusch hatte er erst gehört, als er sie sah, es waren drei, und sie kamen genau auf ihn zu, Seite an Seite, das Mondlicht bedeckte sie wie ein Mantel, und er meinte, noch nie in seinem Leben so etwas Schönes gesehen zu haben.
    Johnny wartete auf die Pferde. Sie galoppierten in Kreisen, als wollten sie sich ihm so langsam und schön wie möglich nähern. Diesmal waren es zwei. Er wusste, dass es dieselben Pferde waren wie beim allerersten Mal, so musste es sein. Er vergaß die Zigarette in seiner Hand und verbrannte sich und merkte es nicht einmal. Jetzt hörte er die Pferde. Sie waren nicht mehr weit von ihm entfernt. Plötzlich dachte er, dass er diese Stelle Lennart zeigen sollte.

23
    Die Werkstatt war wie ein fremder Raum. Alles war ihm vertraut, und doch hatte er das Gefühl, als gehörten die Werkzeuge jemand anderem, Schallplatten, Ersatzteile, verstreute Mechanik, Öldosen. Vom Schemel aus, auf dem er saß, konnte er die Brandmauer des Kinos sehen, aber auch sie war fremd, als wäre auf der anderen Seite der Wiese eine neue Mauer errichtet worden.
    Johnny saß vor einer Wurlitzer 2200, die er reparieren wollte. Die Schwachstelle dieses Modells war die Seitenverkleidung, die nicht bis zum Boden reichte, sondern ein gutes Stück über dem Boden endete, eine schwache Konstruktion. Die eine Seitenverkleidung der Wurlitzer hatte ein Halbstarker eingetreten, im Grand Café in einem Ort, der dreißig Kilometer entfernt an der Bahnlinie lag. Die Jukebox konnte sich nicht verteidigen und es war auch niemandem gelungen, rechtzeitig einzugreifen. In der vergangenen Woche hatte sie sich in der Werkstatt erholen dürfen. Eine Reservebox für das Grand hatte Johnny nicht, und dem Konditor war es egal gewesen. Johnny hatte sich auch nicht weiter darum gekümmert. Ihm lag mehr der Zustand dieser gequälten Box am Herzen.
    Er streckte die Hand aus und drückte die Tastenkombination von Strange, die B-Seite von Patsy Clines She’s Got You. Der Ton funktionierte, aber Patsy Clines traurige Stimme klang noch gebrochener als sonst, sie hatte einen Sprung etwa genauso groß wie der Riss an der Seite der Wurlitzer, wo der beschädigte Basslautsprecher durch das dünne Furnier zu sehen war.
    Die Musik verstummte. Er wählte die A-Seite. Die Stimme wurde plötzlich klarer, als ob sich der Schaden nach dem vorhergehenden Song selbst repariert hätte. Er stand auf und trat an das kleine Fenster. Im Abendlicht erschien ihm die Brandmauer hinter der Wiese überraschend hoch.
    Er hatte es mit Patsy Cline in den Boxen versucht. Er hatte Leute zu Patsy Cline tanzen sehen. Sie konnte singen. Sie konnte weinen. Erst Monate nachdem es passiert war, hatte er von ihrem Tod gelesen, im letzten Jahr, im März war sie mit einer viersitzigen Piper Comanche abgestürzt. Es war ein Sonntag gewesen, ein Sonntag wie dieser. Ein halbes Jahr bevor Kennedy erschossen wurde. Das Flugzeug war am Abend um sechs bei Unwetter gestartet, und am nächsten Morgen wurde das Wrack drei

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