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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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solange er kann, solange es Gleise gibt, und jetzt gibt es fast überall Gleise. Ein Zug kann bis ans Meer fahren. Er zog noch einmal an seiner Zigarette. Ein Zug kann auf einem Schiff nach Amerika fahren. Ein Zug nach Amerika. Erst übers Hochland und dann durch den Süden zur Küste. Mystery Train. Er hörte einen Pfeifton, als er sich dem Bahnhof näherte. Train, I ride, sixteen coaches long, und er sah die Güterwagen zwischen dem Bahnhofsgebäude und dem Bahnhofshotel matt schimmern, sie bewegten sich, er hörte das Signal an den Schranken und sah, wie sie sich senkten. Links in der Kurve tauchte die alte Lok auf, sie bewegte sich schwer, der Dampf war wie Atem, der in den blauen Abendhimmel stieg, die Wagen wanden sich rasselnd hinterher wie eine Klapperschlange, und er hörte Elvis’ Stimme aufheulen wie den Pfeifton von einer Lok und merkte, dass seine Kopfschmerzen wiedergekommen waren.
     
    Vor Lisas Café stand ein Volvo Amazon S von derselben blauen Farbe wie das Modell, das Johnny beim Esso-Motel gesehen hatte.
    Im Café saß die Frau in dem roten Kleid. Jetzt trug sie ein minzgrünes Kleid, aber es war dieselbe Frau. Sie musste das Hotel fast gleichzeitig mit ihm verlassen haben und direkt hierher gefahren sein. Das war seltsam. Sie saß allein am Tisch und war der einzige Gast. Im Aschenbecher vor ihr lag eine qualmende Zigarette, und sie hob grüßend die Hand, als er hereinkam. Johnny nickte und öffnete die Jukebox.
    »Tauschst du die Platten aus?«, fragte sie mit rauchiger Stimme. Sie war in seinem Alter, nicht jung, nicht alt.
    Er nickte wieder und setzte vorsichtig das Magazin in Bewegung. Er las das Zählwerk ab. Viele Platten waren nicht gespielt worden, seitdem er das letzte Mal hier gewesen war. Er pflegte die ältesten der nicht gespielten Platten auszutauschen, machte jedoch ziemlich viele Ausnahmen. Einer der Stammgäste könnte ja in Urlaub sein, im Krankenhaus oder vorübergehend verreist, und deswegen war ein Favorit, der sonst heißlief, nicht gespielt worden. Wenn er die Platte herausnahm, könnte es Ärger geben.
    Er begann die Platten auszutauschen. Das Karussell bewegte sich.
    Plötzlich erhob sich die Frau und kam zu ihm zur Jukebox. Sie trug schwarze Schuhe mit flachen Absätzen.
    »Man muss wohl an Musik interessiert sein, wenn man deinen Job macht«, sagte sie.
    »Mich interessiert nur, dass die Kasse stimmt«, sagte er und nahm Paul Anka heraus.
    »Wirklich?«, fragte sie.
    Er schaute auf, Put Your Hand On My Shoulder in der Hand.
    »Vielleicht an beidem«, sagte er.
    Jetzt lächelte sie und streckte eine Hand aus.
    »Darf ich mal sehen?«
    »Was?«
    »Was in diesem Café nie mehr gespielt wird.«
    »Es ist schon lange nicht mehr gespielt worden«, sagte er und reichte ihr die Platte. Sie las den Titel auf der A-Seite und schaute auf.
    »Aber die ist doch gut«, sagte sie. »Paul Anka ist doch gut.«
    »Die Platte ist neunundfünfzig rausgekommen«, sagte er, »seitdem hat sie in der Box gesteckt.«
    »Ich hab mir vorhin die Listen angeguckt«, sagte sie.
    »Die Listen?«
    »Die da.« Sie zeigte auf die Titelstreifen, die im Licht über der Glasfront der Wurlitzer golden glühten. »Da gibt’s ja viele alte Songs.«
    »Manchmal muss man eine austauschen.«
    »Und du magst Paul Anka nicht?«
    »Tja … wie schon gesagt, die Platte wird hier schon seit neunundfünfzig gespielt. Jetzt will sie keiner mehr hören.«
    »Du weißt vermutlich, dass meistens Frauen Musik aus der Jukebox hören wollen?«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Denkst du daran, wenn du die Platten austauschst?«
    »Ich denke ständig daran«, antwortete er, aber sie lächelte nicht.
    Sie hielt die Paul-Anka-Platte hoch.
    »Das ist einer meiner Lieblingssongs, und ich möchte ihn hören.«
    In ihrer Stimme war Nervosität, aber viele waren nervös.
    »Jetzt?«, fragte er.
    »Jetzt und später«, sagte sie. »Ich möchte, dass sie in der Jukebox bleibt.«
    »Wohnst du hier?«, fragte er. »Im Ort?«
    Jetzt lachte sie.
    »Was für eine schreckliche Vorstellung.«
    Himmel. Johnny streckte die Hand aus. Das war vielleicht ein seltsames Gespräch. Woher kommt sie? Wohin will sie? Was will sie?
    Er streckte die Hand noch weiter aus, nahm die Platte, drehte sich um und zog die Scheibe heraus, die er gerade in das Karussell gesteckt hatte, und setzte Paul Anka wieder ein.
    »Ich hab dich durchs Fenster gesehen«, sagte sie.
    »Mhm.«
    »Fährst du immer so rum?«
    »Wie rum?«
    Sie machte eine Bewegung über das leere Café.

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