Der Junge aus dem Meer - Roman
hergerissen. Obwohl es sicher eine Erleichterung gewesen wäre, der dichten, schwitzenden Menge im Restaurant zu entkommen, vermutete ich, dass CeeCees Freundinnen Kopien der Mädchen von der
Princess of the Deep
waren – coole Kreationen weiblicher Perfektion. Darüber hinaus wollte ich Mom nicht im Stich lassen; sie lauschte momentan einer älteren Dame mit gestylter Haarpracht, die etwas über Austernpreise faselte. Doch als ich meine Mutter fragend anblickte, beugte sie sich dicht zu mir, flüsterte: »Wir verschwinden hier in zehn Minuten«, und entließ mich mit einem Wink.
Nachdem wir uns an der Bar ein paar Softdrinks geholt hatten, bahnten CeeCee und ich uns einen Weg nach draußen auf die zum Strand ausgerichtete Terrasse, wo es nach Sonnencreme und Bier roch. Ich sah die gestreiften Sonnenschirme, den feinen Sand, die wie schlanke Seehunde in der Brandung segelnden Gestalten – und spürte einen Anflugvon Neid. Vielleicht könnte ich ja später etwas schwimmen gehen.
CeeCee führte mich an der Band und den Swing tanzenden Paaren vorbei zu zwei Mädchen, die Softdrinks schlürften und an deren Handgelenken (auch) Glücksarmbänder baumelten. Die eine war eine kurvenreiche Blondine in einem mit kleinen Kirschen bedruckten, schulterfreien Kleid, die andere war dünn wie ein Model, hatte kakaofarbene Haut und trug ein kurzes gelbes Kleid mit einem Gürtel. Wie CeeCee schienen die beiden aus einer Doppelseite der TEEN VOGUE ausgeschnitten zu sein.
Sie kennen nicht die Eigenschaften von Helium,
sagte ich mir.
Sie wissen nicht, was die Newtonsche Mechanik ist oder wer das Penicillin entdeckt hat. Du wirst dich durch sie
nicht
verunsichern lassen.
Gleichwohl fummelte ich, in der Hoffnung, dass das Loch nicht zu sehen war, am Saum meines Rocks herum.
Mein Unbehagen ignorierend stellte uns CeeCee einander vor: Die Blonde hieß Virginia, die Brünette Jacqueline. Letztere lächelte und hakte sich bei mir ein. »Delilah hat schon von dir geschwärmt«, sagte sie mit sanfter Stimme.
»Jackie ist meine beste Freundin und kommt aus Atlanta«, erklärte CeeCee und ergriff meinen freien Arm. »Seit drei Sommern kommt sie hierher und verbringt mit uns die Ferien.«
Als ich so zwischen CeeCee und Jacqueline eingekeilt dastand, war ich überrascht, dass mich ein warmes Gefühl des Dazugehörens überkam. Ich hatte vergessen, wie tröstlich die unkomplizierte Vertrautheit war, die zwischen Mädchen bestehen konnte.
»Und Virginia ist aus Charleston«, fügte CeeCee hinzu und nickte in Virginias Richtung. »Sie war schon meinebeste Selkie-Freundin, als wir noch Babies waren. Stimmt’s, Gin?«
»Ah-hah«, gab Virginia zurück. Der verschmitzte Blick ihrer haselnussbraunen Augen war woandershin gerichtet – auf eine Gruppe attraktiver Jungs, die ein paar Meter entfernt standen.
»Hast du schon den Brunnen auf dem Marktplatz gesehen?«, fragte mich CeeCee. Als ich nickte, fuhr sie in stolzem Ton fort: »Er wurde in einem Sommer von Virginias Urgroßvater gebaut, Colonel Cunningham.«
»Das ist … toll«, erwiderte ich zögernd. Es war schon lustig, dass auf Selkie die Geschichte jeder Familie irgendwie mit der Insel verbunden schien. Plötzlich kam mir Llewellyn Thorpes Buch wieder in den Sinn, doch ich schob den Gedanken beiseite.
»Er hat ihn natürlich nicht selbst gebaut«, betonte Jacqueline mit einem wissenden Grinsen. »Ich bin sicher, dass es jemand für ihn erledigt hat.«
»Blablabla«, sagte CeeCee, woraufhin Jacqueline ihr die Zunge herausstreckte.
»Hört auf, euch zu streiten, Mädels!«, kommandierte Virginia. Ihr Südstaatenakzent war noch ausgeprägter als CeeCees. »Können wir uns bitte mal konzentrieren? Wir müssen noch entscheiden, auf wen unsere Wahl in diesem Sommer fällt.«
»Wahl?«, wiederholte ich ziemlich belämmert. Dann folgte ich Virginias Blick zu den Jungs hinüber, die lachten und herumalberten und anscheinend die Aufmerksamkeit gar nicht bemerkten, die sie ihnen zukommen ließ. Mein Halsansatz wurde leicht rot.
Oh.
»Eine Tradition, die wir vorletzten Sommer eingeführt haben«, erklärte CeeCee mir, während die Menge um unsherum in Applaus für die Band ausbrach. »Da bemerkten wir nämlich, dass die Jungs, die hier schon seit Ewigkeiten ihre Ferien verbrachten, plötzlich … scharf wurden.«
»Es muss irgendwas im Wasser sein«, bemerkte Virginia, grinste schelmisch und ließ eine blonde Locke um ihren Finger kreisen.
»Vielleicht«, gab ich zurück. Tatsächlich
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