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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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weitererzählte! Mir war noch nie der Gedanke gekommen, dass meine Mutter ein Liebesleben gehabt haben könnte. Seit Dad und sie auseinander waren, hatte Mom sich kaum mit jemandem verabredet.
    Doch der entsprechende Moment war vergangen und jetzt lag eine gewisse Spannung in der Luft. Delilah sah leicht gekränkt aus, als sie ihren Arm von Moms Schulter löste und ihre Sonnenbrille wieder aufsetzte. »Ich muss sowieso noch mein Kleid abholen«, sagte sie verschnupft und betrachte missbilligend unser Putz-Outfit: Mom und ich trugen alte, abgeschnittene Jeans, ausgeleierte T-Shirts und Sneakers. »Ich sehe die Damen dann später.« Sie deutete mit ihren Fingern ein Winken an, fügte jedoch vor ihrem Abgang noch frotzelnd hinzu: »Und es gibt sicher noch ein paar andere, die sich freuen werden, dich zu sehen, Amelia.«
    Ich wollte Mom fragen, was Delilah gemeint hatte – und auch, wie die beiden jemals so eng befreundet gewesen sein konnten –, fühlte mich jedoch leicht benommen von diesem Hurrikan in Menschengestalt, der gerade über uns hinweggefegt war.
    »Wirklich erstaunlich«, sagte Mom, als Delilah außer Hörweite war. Ihr Gesicht hatte wieder seine normale Farbe angenommen. »Diese Frau hat sich nicht ein bisschen geändert. Ich bin schon erschöpft, wenn ich nur daran denke, dass ich mich auf der Erben-Party mit ihr beschäftigen muss.«
    »Wollen wir das Fest auslassen?«, fragte ich widerstrebend. Delilah machte einen wahnsinnig, doch ich fragte mich, was sie wohl sonst noch über meine Mutter oder womöglich Isadora wusste.
    »Du solltest hingehen, mein Liebling«, erwiderte Mom und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Doch ich fürchte, ich werde im passenden Moment Kopfschmerzen bekommen.«
    ***
    Nach zwei Stunden Putzerei und Rasenmähen war Mom dann allerdings doch in der Laune, ein wenig auszugehen. So wie ich. Als wir den Alten Seemann verließen, frisch geduscht und umgezogen – Mom in einem Hemdkleid aus Leinen und Griechischen Sandalen, ich in meinem roten Hüftrock und schwarzem Tanktop –, verspürte ich eine aufgeregte Anspannung in der Magengegend. Der Nachmittag roch nach frisch gemähtem Gras und Blumen, und alle erdenklichen Möglichkeiten schwebten zusammen mit den Seemöwen in der Luft.
    Mom führte mich durch den Ort, der aus einem Delikatessen-Supermarkt, einer Boutique für Badekleidung, einem ausschließlich auf Hüte spezialisierten Laden sowie einem Schönheitssalon bestand. Alles drängte sich um einen üppig bewachsenen, grünen Platz mit einem Brunnen in der Mitte. Während Mom und ich den Platz überquerten, kamen wir an zwei Frauen in langen bunten Röcken vorbei, die vor den Augen einer kleinen Menschentraube Weidenkörbe flochten. Als wir schließlich die hölzerne Uferpromenade betraten, die sich am Strand entlangzog, hatte ich das Gefühl, mit den Gegebenheiten der Insel mehr oder weniger vertraut zu sein.
    Die Uferpromenade verfügte über einen Eisstand und einen Laden namens Selkie Sandbar , in dessen Schaufenster Piraten mit Wackelköpfen und haifischförmige Surfbretter ausgestellt waren – exakt die Art von Souvenirladen, die ich mir auf der Fähre vorgestellt hatte. Dann gab es noch ein Muschellokal, THE FISH TALE , und das Restaurant
The Crabby Hook
samt aufblasbarem roten Krebs auf dem Dach. Das Restaurant war unser Ziel, doch bevor wir hineingingen, drückte Mom fest meine Hand – etwas, was sie, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie zuvor getan hatte.
    Eine ziemlich große Menschenmenge füllte den weiten, luftigen Raum, alle redeten durcheinander und tauschten Begrüßungsküsschen aus. Silberfarbene Girlanden und blaue Luftballons kitzelten unsere Köpfe, und aus der offenen Küche drangen das brutzelnde Geräusch und der köstliche Duft von frisch gebratenem Essen. An der einen Wand stand ein mit gegrillten Hähnchen, Hummerschwänzen und Kochbananen überladenes Buffet, auf der anderen Seite gab es eine Bar. Diejenigen Gäste, die sich bereits mit Getränken und Tellern voller Essen versorgt hatten, bahnten sich ihren Weg nach draußen auf die hintere Sonnenterrasse, wo eine Swing-Band im Stil der 40er-Jahre Musik spielte.
    Mom und ich hatten vielleicht gerade mal zwei Schritte auf das Buffet zu gemacht, als ich jemanden: »Da ist sie!«, sagen hörte, und schon waren wir von einem Schwarm von Menschen umgeben. Delilah führte die Truppe an; sie hing am Arm eines dicklichen, schnauzbärtigen Mannes, der unheimliche Ähnlichkeit mit einem

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