Der Junge aus dem Meer - Roman
jedoch stammte die Schönheit und Anmut all derer, die sich auf der Terrasse versammelt hatten und lachten, von über Generationen verfolgter, sorgfältig kontrollierter Fortpflanzung.
»Ich denke, ich entscheide mich für Macon«, murmelte Jacqueline und deutete auf einen stämmigen, rotgesichtigen Jungen mit Bürstenschnitt.
»Wisst ihr noch, wie heftig er mit mir im letzten Sommer geflirtet hat, kurz bevor er wieder nach Chapel Hill in die Schule zurückging?«
»Nicht so heftig, wie Rick mit mir geflirtet hat«, konterte Virginia und machte mit ihrem Glas eine Bewegung in Richtung eines Jungen mit kurzgeschnittenen dunklen Locken, der eine Weste über einem blauen Hemd mit Button-down-Kragen trug. Er blickte in ihre Richtung, und sie lächelte und senkte die langen Wimpern.
»Ich kann mich nicht zwischen Lyndon und Bobby entscheiden.« CeeCee seufzte dramatisch, als handelte es sich um eine lebenswichtige Entscheidung, und deutete auf die beiden Jungen, die praktisch kaum voneinander zu unterscheiden waren: Beide hatten längeres, weißblondes Haar und trugen Krawatten. »Ich vermute, ich muss es wohl mal mit beiden probieren, um rauszufinden, welcher mir besser gefällt.« An dieser Stelle brachen sie, Jacqueline und Virginia in schallendes Gelächter aus.
Ich war komplett sprachlos. Gingen manche Mädchenetwa so mit Jungs um? Wählten sie die Typen aus, als wären sie nicht mehr als Fische, die man in ein Glas sperrt? Ich war besonders über Jacqueline erstaunt, die ich als zurückhaltenden Charakter eingeschätzt hatte. Ich wünschte, ich hätte das Selbstvertrauen gehabt, diese Art Kontrolle über mein eigenes romantisches Schicksal zu erlangen – die Tatsache, dass es in letzter Zeit nichts Romantisches in meinem Leben gegeben hatte, mal außer Acht gelassen.
»Wartet mal!«, sagte CeeCee atemlos und schien ernsthaft alarmiert. »Ich hab was vergessen!«
Virginia prustete los und warf Jacqueline einen Blick zu. »CeeCee, du würdest dein hübsches kleines Hinterteil vergessen, wenn es nicht an dir befestigt wäre«, höhnte sie.
»Oh, halt die Klappe«, gab CeeCee kichernd zurück. »Ich hab Miranda vergessen!« Sie sah mich an, ihre riesigen Augen funkelten. »Wir brauchen auch einen Jungen für dich!«
Die Röte zog sich jetzt an meinem Hals hinauf. Dieser Irrsinn musste im Keim erstickt werden. »Hör mal, CeeCee«, sagte ich nachdrücklich und benutzte einen ähnlichen Tonfall wie bei Matrosenmütze auf der Fähre. »Danke für das Angebot, aber ich brauche keinen Sommerflirt, das kann ich dir schwören.«
»Warum nicht? Hast du etwa einen Verehrer zu Hause?«, fragte CeeCee. Ich konnte förmlich spüren, wie sie, Jacqueline und Virginia den Atem anhielten und mich ungläubig anstarrten.
Miranda? Hat einen Freund?
»Ah, nein«, stotterte ich. »Ich meine, doch, ich hatte, aber …« Ich biss mir auf die Lippen und befahl mir, weder an Greg zu denken noch über ihn zu sprechen. Mit CeeCee und ihrer Kohorte in solch persönliches Fahrwasser vorzudringen, war das Letzte, was ich wollte. »Nein«, schloss ich wenig überzeugend ab.
»Was hältst du denn dann von Archer Oglethorpe?«, schlug Jacqueline vor und zuckte mit ihren schlanken Schultern. »Er ist süß und Single …«
»Vergeben!«, warf Virginia ein, bevor ich sagen konnte, dass allein der Name des Jungen mich abschreckte. »Kay McAndrews und er haben vor zwei Tagen auf der Fähre förmlich aneinander
geklebt
, was ich übrigens ziemlich geschmacklos finde.«
»Aber es war gar nicht geschmacklos, als du beim Feuerwerk im letzten Sommer deine Zunge in T. J. s Hals gesteckt hast?«, frotzelte Jacqueline, woraufhin Virginia ihr den Finger zeigte und die Sonne dabei sehr hübsch auf ihrem dunklen Nagellack blitzte. Ich war fassungslos, wie gewandt diese Mädchen zwischen Freundlichkeit und Brutalität wechselten. Zwischen mir und Linda war es nie so gewesen, zumindest nicht bis …
»Wartet mal, ich hab’s!«, rief CeeCee. »T. J. Illingworth.« Sie senkte ihre Stimme und flüsterte mir ins Ohr. »Er steht da neben Macon. In dem gestreiften T-Shirt. Siehst du ihn?«
Das tat ich, und mir wurde klar, dass T. J. Illingworth der dunkelhaarige Junge von der Fähre war. Der Sohn des Mannes mit den grau melierten Haaren, der vorhin im Restaurant Mom angestarrt hatte. Bei dem Gedanken an Mom sah ich mich suchend auf der Terrasse um, ob sie vielleicht rausgekommen war, um mich abzuholen, doch in der tanzenden und trinkenden Menge konnte ich
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