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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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auf. »Die Anklage ruft Stephanie Keller in den Zeugenstand.«
    Cate lächelte. »Scheint, als hätte die Chemo angeschlagen.«
    Die Seitentür ging auf, und wieder entstand eine lange Pause, während einer der Sicherheitsbeamten eine winzige Frau im Rollstuhl hereinschob.
    Stephanie Kellers Augenbrauen waren mit Augenbrauenstift nachgemalt, und um den Kopf trug sie einen königsblauen Schal, den sie im Nacken verknotet hatte. Der Gerichtsdiener übernahm die schmale grüne Sauerstoffflasche und trug sie neben dem Rollstuhl her.
    Hätte Skwarecki nicht erwähnt, dass sie beide dreiundvierzig waren, hätte ich die Frau auf mindestens doppelt so alt geschätzt. Ihr Rücken war krumm, und sie schien in ihrem langärmeligen Kleid zu verschwinden.
    Der Beamte parkte Stephanie Kellers Rollstuhl rückwärts neben dem Zeugenstand und legte die Bremse ein.
    »Ms Keller«, begann Louise Bost, »ich möchte Ihnen danken, dass Sie heute gekommen sind. Ich weiß, es war nicht leicht für Sie.«
    Ms Kellers Stimme war leise, aber klar. »Es war mir wichtig. Teddy Underhill war so ein lieber kleiner Junge.«
    »Können Sie uns sagen, wann Sie zuerst den Verdacht schöpften, dass er misshandelt wurde?«
    »Kurz nachdem Teddy und seine Mutter zu Albert Williams in die Wohnung zogen, in dem Gebäude, in dem ich wohne. Ich würde sagen, nach einer Woche.«
    »Wann war das?«
    »Im vorletzten August«, sagte Ms Keller.
    »Lagen ihre und Williams’ Wohnung nahe beieinander?«
    »Ich wohnte direkt unter ihm.«
    »Was war es, das zuerst Ihre Sorge um Teddys Wohlergehen erregte?«
    »Beide Wohnungen haben Fenster zur Straße und imhinteren Teil Seitenfenster, die zum Luftschacht gehen. Bei schönem Wetter bekommt man zwangsläufig viel von den Nachbarn mit. Ich hatte Teddy oft genug mit seiner Mutter auf der Treppe gesehen. Gelegentlich haben wir uns unterhalten. Ich kannte seinen Namen und wusste, wie alt er war.«
    »Wie alt war Teddy damals?«
    »Er war zwei Jahre und ein paar Monate alt«, sagte Ms Keller. »Das war einer der Gründe, warum ich mir Sorgen machte, als ich kurz darauf mitbekam, wie er schon nach einer Woche angeschrien wurde.«
    »Konnten Sie hören, wer den Jungen anschrie?«
    »Allerdings. Albert Williams.«
    Diesmal erhob Ms Galloway Einspruch. Hetzler rührte sich nicht.
    »Euer Ehren«, sagte Ms Galloway, »ich weiß nicht, wie Ms Keller im Lärm eines Luftschachts, auf den viele Wohnungen führen, eine Stimme von der anderen unterscheiden können will.«
    Von ihrem Platz konnte Stephanie Keller den Richter nicht sehen, daher wandte sie sich an Louise Bost. »Darf ich darauf antworten?«
    »Bitte«, sagte Louise Bost.
    Ms Keller sah Ms Galloway an. »Ich erkannte Albert Williams’ Stimme aus zwei Gründen: Erstens lispelt er leicht. Zweitens gab es unter den Bewohnern der anderen fünf Wohnungen in unserem Gebäude niemanden, der Teddy hieß.«
    »Es war aber nicht nur das Schreien, das Sie beunruhigte, richtig?«, fragte Louise Bost.
    »Ich habe zwanzig Jahre als Schwester in der Notaufnahme gearbeitet, Ms Bost. Leider wusste ich sofort, was ich hörte.«
    »Als Krankenschwester gelten Sie beim Jugendamt als sachkundige Zeugin, nicht wahr?«
    Ms Keller bejahte, und sie erläuterten weitere Details ihres Anrufs bei der Behörde.
    »Können Sie uns genau wiedergeben, was Sie der Hotline gemeldet haben?«
    Stephanie Keller zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche ihres Kleids. »Um ganz sicher zu gehen, möchte ich lieber nachlesen, wenn ich darf?«
    »Bitte«, sagte Louise Bost. »Natürlich.«
    Ms Keller schlug das kleine Buch auf und hielt es sich vor das Gesicht. »Am dreiundzwanzigsten August hörte ich, wie Albert Underhill das Kind anbrüllte, weil es seinen Teller nicht leer gegessen hatte. Ich hörte mehrere Schläge, und ich glaube, anschließend warf er Teddys Teller gegen die Küchenwand.«
    Sie blätterte weiter. »Zwei Wochen später – am sechsten September – war Williams wütend, weil Teddy ein Spielzeug auf dem Boden liegen gelassen hatte. Am nächsten Morgen hatte das Kind ein blaues Auge. Seine Mutter sagte, er sei gegen die Armlehne des Sofas gelaufen.«
    Sie sah Louise Bost an. »Leider war ich danach zwei Wochen weg. Als ich wieder da war, begegnete ich Teddy und seiner Mutter im Treppenhaus. Der Junge hinkte und versuchte, auf einem geschwollenen Knöchel zu gehen.«
    Auf einem gebrochenen Knöchel. Knochen, der an Knochen reibt.
    Mir wurde schlecht. Ich stieg über Cate und lief durch die

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