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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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können, oder? Wer zugeschlagen hat, können Sie nicht mit Bestimmtheit sagen?«
    »Das ist richtig«, sagte Merica.
    »Danke, Dr. Merica. Ich habe keine weiteren Fragen.«
    Der Richter sah zu Angelas Anwalt. »Mr Hetzler?«
    »Keine Fragen im Moment, Euer Ehren.«
    Der Richter vertagte die Sitzung.
    Im Flur traf ich Skwarecki. »Haben Sie irgendwas von dem Wagen gehört?«
    »In der Nähe des Friedhofs ist keiner registriert«, sagte sie. »Ich habe einen Streifenwagen in die Gegend geschickt – vielleicht fährt jemand einen unregistrierten. Aber sie haben noch keinen gesehen.«
    »Nicht sehr tröstlich.«
    »Sie haben Ihre Aussage hinter sich. Es gibt keinen Grund, warum Ihnen jetzt noch jemand etwas tun sollte.«
    »Vielen Dank noch mal, dass Sie neulich bei uns übernachtet haben.«
    »Nicht der Rede wert«, sagte sie.
    »Doch, ich schulde Ihnen was. Ich will Sie wenigstens zum Essen einladen oder so was. Sagen Sie mir einen Tag.«
    »Wie wollen Sie mit dem Gipsarm kochen?«
    »Vielleicht bestelle ich Pizza.«
    »Alles, nur keine Anchovis«, sagte sie.
    »Abgemacht.«
    Die Wolken über dem Queens Boulevard bauschten sich mit der hämischen winterlichen Gewissheit, dass zwischen jetzt und dem Tod nichts war als die dünne Membran von eisenarmem Blut und einsamen Altersheimen.
    Ich hatte keine Lust, am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu gehen.
    Viel lieber wollte ich mit Cate oder Kyle oder Skwarecki über ein paar Bier die Aussagen des Tages analysieren.
    Außerdem schaffte ich es nicht, das Gefühl abzuschütteln, dass ich beobachtet wurde.
    Die Autos schlitterten auf dem Heimweg im Schneematsch. Es war bereits so dunkel, dass die Bremslichter glühende blutrote Funken auf die spritzende Straße warfen.
    Mit der uneingegipsten Hand winkte ich der blutrünstigen Statue zu und joggte runter zur U-Bahn.
    Es war voll auf dem Bahnsteig, und wir wandten uns wie die Lemminge dem herannahenden Zug zu, um uns todesmutig ins Gedrängel zu stürzen.
    Ich fand einen Platz in der Nähe der Tür, ohne Haltegriff. Es gab noch einen leeren Sitzplatz, aber ein Fahrgast hatte in der orangen Plastikschale eine Urinpfütze als Souvenir hinterlassen.
    Es war einer dieser neueren Waggons, die angeblich immun gegen Graffiti waren, und frustrierte Tagger hatten ihre Zeichen ins Plexiglas der Fenster geritzt oder nicht entzifferbare Edding-Hieroglyphen auf Werbeplakate gekritzelt statt auf die Wände.
    Jemand hatte die Pappaugen jedes Kool rauchenden oder für Kondome werbenden Models ausgestochen – Sachbeschädigung als Signatur. Seit Keith Harings leuchtenden Hunden und Babys und den Heliumknallfarben von Fab 5 Freddy waren Jahre vergangen.
    Der Zug legte sich kreischend in eine Kurve, dann ging plötzlich das Licht aus und es blieb lange dunkel.
    In der muffigen Finsternis gegen Fremde gepresst, fragte ich mich, ob Galloway und Hetzler es schaffen würden, sich gegenseitig genug Verdacht zuzuschaufeln, dass am Ende vielleicht beide freikamen.
    Als ich nach Hause kam, war die Wohnung leer. Ich aß kalte Reste von Empire Szechuan und rief jede Viertelstunde bei Mrs Underhill an.

51
    Ich hatte inzwischen genug Stunden im Gerichtssaal verbracht, dass ich das Protokoll nicht mehr aufregend, sondern langweilig fand. Am nächsten Morgen war die Luft schlecht und stickig, und nur das Rascheln von Papier und das Quietschen von Stühlen war zu hören, als die Zuschauer es sich für das morgendliche Programm bequem machten.
    Als der Gerichtsdiener die Anwesenden endlich mit seinem Singsang aufforderte, sich zu erheben, hatte ich das Gefühl, ich wartete seit Ewigkeiten.
    Ich wollte da sein, wollte sehen, wie sich die Aussagen zusammenfügten, und, Gott weiß, ich wollte sehen, dass die Gerechtigkeit siegte. Aber die Mühlen mahlten langsam.
    Es war wie Dickens lesen. Oder auf der Zulassungsbehörde.
    Der Richter begann, Papiere zu sortieren.
    Cate räusperte sich und griff in ihre Handtasche. Ich sah, wie sie ein Pfefferminzbonbon herausholte, das sie ohne zu knistern auszuwickeln versuchte. Was eine physikalische Unmöglichkeit war.
    Von wegen Zulassungsbehörde – es war wie in der Kirche: die gleichen Talare, die gleiche erzwungene Feierlichkeit, der gleiche unvermeidbare Hustenreiz.
    Es fehlten nur die ausklappbaren roten Samtbänkchen, die peinlichen Gesänge und der süße Manischewitz als Messwein.
    Zu guter Letzt blickte der Richter auf und gab Louise Bost das Zeichen anzufangen.
    Sie trat vor und richtete sich zu voller Größe

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