Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
nach zwei.
Christoph und Dean stiegen vor mir die Treppe hinauf.
Ich schluckte eine Percodan ohne Wasser und folgte ihnen.
25
»Camilla hatte diese Pillen von irgendeinem Londoner Fotografen«, sagte Astrid. »Wir wussten nicht genau, was drin war.«
»Und ihr habt sie trotzdem genommen?«, sagte ich.
»Natürlich«, gab sie zurück.
Die Ringe unter ihren Augen hatten die Farbe von Nikotin, und trotzdem sah sie aus wie eine florentinische Catherine Deneuve.
»Was war drin, Speed oder Tranquilizer?«
»Sie waren blau«, antwortete sie. »Wir haben Champagner getrunken, und dann sind wir in den Jeep gestiegen und in die Stadt gefahren. Ich erinnere mich kaum, was nach dem Tunnel passiert ist.«
Cammy kam in die Halle gestapft, in sehr kurzen Shorts, einem knappen rosa Oberteil und diesen beknackten kniehohen Skihasen-Höhlenchick-Nutten-Stiefeln aus zotteligem Pelz. Der Rest ihres vom Kissen schraffierten Gesichts sah ausgemergelt und scheiße aus, nur ihre plastizierte Kopie meiner Nase war perfekt.
»Waren wir gestern bei einem Chinesen?«, fragte sie Astrid, als sie ohne ein Zeichen des Wiedererkennens an mir vorbeiging.
Astrid zog ein zerdrücktes Marlboro-Softpack aus der Jeanstasche. »Du hast Halluzinationen.«
Cammy griff nach einem schweren silbernen Feuerzeug auf dem Sideboard neben uns und nahm sich eine Zigarette von Astrid. Beide zündeten sich eine an.
»Warte mal«, sagte Astrid, »hatten wir nicht die Scorpion-Bowl?Ich erinnere mich verschwommen an lange Strohhalme und schwimmende Gardenien.«
Cammy schlurfte ins Wohnzimmer und ließ sich in einen Sessel fallen, sodass Asche auf ihr T-Shirt fiel. »Ich hasse Scorpion-Bowl.«
»Chrissy, hatten wir Gardenien dabei, als wir heimgekommen sind?«, fragte Astrid.
Christoph schüttelte den Kopf. »Als ich kam, lagt ihr beide komatös im Wohnzimmer.«
»Und wann war das?«, fragte sie.
»Kurz nach vier.«
Astrid sah Cammy an. »Wo ist meine Jacke?«
Cammy blinzelte. »Die liegt hier, zusammengeknüllt.«
Astrid stelzte durchs Zimmer. »Aha«, sagte sie, als sie das fußballgroße Knäuel feinsten Tweed vom Boden aufhob.
Sie schüttelte die Jacke aus und zog sie an. Obwohl sie Astrid zu groß war und aussah, als hätte ein nasser Hund darin geschlafen, konnte man den guten Schnitt erkennen. Ich nahm an, sie gehörte Christoph.
Astrid klopfte sie ab und zog einen zerknitterten Zettel aus der Brusttasche.
»Eine Rechnung?«, fragte Christoph amüsiert.
Astrid streckte sich auf der Couch aus und knipste die nächste Stehlampe an. Cammy hielt sich die Augen zu und schnippte Asche auf den Teppich.
Astrid strich den Zettel auf ihrem Schenkel glatt, musterte ihn, dann sagte sie: »Lieber Himmel!«
»Was’s los?«, fragte Cammy.
»Wir haben dem Chinesen vierhundertfünfundsiebzig Dollar Trinkgeld gegeben.«
Cammy zuckte die Schultern.
»Das Essen hat nur vierzig gekostet«, erklärte Astrid.
Cammy stand auf, schlurfte in die Küche und kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück.
In der Zwischenzeit versuchte ich, per Telepathie meine Magensäure dazu zu bewegen, endlich die verdammte Percodan aufzulösen.
»Mit einer Kreditkarte?«, fragte Christoph.
»Liebster«, sagte sie und streichelte seinen Arm, »mit deiner Amex.«
Er räusperte sich. »Vielleicht könntest du sie bitten, die Summe zu korrigieren?«
Astrid senkte die Lider auf Halbmast. »Könntest du das nicht tun, Schatz? Du bist so gut in solchen Dingen.« Sie sah ihn ausdruckslos an.
»Tut mir leid, aber ich habe heute Nachmittag ein paar geschäftliche Dinge mit Dean zu besprechen«, antwortete ihr Ehemann lächelnd, aber ungerührt.
Er führte meinen Gatten nach draußen auf die Wohnzimmerterrasse.
Cammy gähnte und sah Astrid an. »Komm, wir fahren gleich vorbei. Bringen wir’s hinter uns.«
Astrid zog die Sonnenbrille aus der rechten Tasche des Tweedjacketts und setzte sie auf.
Dann rauschten sie und Cammy wortlos an mir vorbei zur Tür, als wäre ich der Garderobenständer.
Ich sah ihnen nach, die blöde Weinflasche immer noch in der Hand, als sie in den kleineren von zwei vor dem Haus parkenden Jeeps stiegen und davonrumpelten.
»Schön, dass ich hier sein darf«, murmelte ich. »Immer eine Freude, euch beide zu sehen.«
Dean und Christoph schienen sich draußen gut zu amüsieren, also machte ich mich auf die Suche nach dem Flaschenöffner, einem Tablett und drei Weingläsern.
Ich entkorkte die Flasche, stellte zwei Gläser auf das Tablett, die ich zur
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