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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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Hälfte einschenkte, und feierte meine Leistung mit einer großzügigen therapeutischen Dosis Côtes-du-Dingsdongs aus Glas Nummer drei.
    »Dichtes Bouquet«, befand ich, »und doch überraschend kess im Abgang.«
    Ich schenkte mir nach, dann trug ich das Tablett nach draußen.
    »Natürlich«, sagte Christoph gerade, »wir müssen uns damit abfinden, dass die meisten amerikanischen Arbeiter in Fabriken und Betrieben miserabel ausgebildet sind.«
    »Wobei es undiplomatisch sein könnte, auf diesem Punkt herumzureiten«, bemerkte Dean, »vor allem, während man sie davon zu überzeugen versucht, dass das eigene Produkt von technischem Nutzen für sie ist.«
    »Trotzdem«, sagte Christoph, »diese Leute … sie brauchen eine starke Hand.«
    Ich trank mein zweites Glas Wein aus.
    Christoph sah mich an. »Maddie, dein Gatte ist wirklich sehr clever in diesen Dingen.«
    »Oh ja«, sagte ich, »das ist er.«
    Ich versuchte, nonchalant zu klingen, dabei hätte ich ihn am liebsten an den Schultern gepackt und ihm eingebläut, dass mein Mann der cleverste, aufrechteste, fleißigste Mann war, den er je kennengelernt, geschweige denn eingestellt hatte – dass Dean mit bloßen Händen ein Haus oder einen Eisenbahnwaggon bauen konnte, dass er mit einem Schweizer Messer und einem Bic-Feuerzeug meinen alten VW Käfer repariert hatte, als wir bei unserer zweiten Verabredung im strömenden Regen liegen geblieben waren, und dass er mit der gleichen Selbstverständlichkeit über Goethe, die psychologische Funktion von Schamanen im ländlichen Nepal und den nachhaltigen Einfluss von Roosevelts Agrarpolitik reden konnte.
    Doch ich biss mir auf die Zunge und versuchte, von ihrem Gespräch über den biologischen Sauerstoffbedarf und teutonische Laborprotokolle beeindruckt zu wirken, bis genug Zeit vergangen war, um mich höflich zurückzuziehen.
    Ich geisterte noch eine Weile durchs Haus auf der Suche nach etwas zu lesen. Doch das einzig Gedruckte, das ich im ganzen Haus fand, war eine Ausgabe von Town & Country vom Juli vergangenen Jahres, die ich mit nach oben in unser Zimmer nahm.
    Früher hatte ich immer ein paar Leute in dieser Zeitschrift gekannt, und sei es um drei Ecken: Freunde meiner Großeltern, Namen aus den Erinnerungen meiner Eltern an Internats- und Debütantinnenzeiten in den Fünfzigern. Doch inzwischen hätte ich genauso gut ein Lokalblatt aus Madagaskar oder vom Pluto in der Hand halten können. Wer zum Teufel waren diese Leute? Wie zum Teufel konnten sie sich den Mist aus den Anzeigen leisten?
    Ich wollte nicht so sein wie sie; und eigentlich wollte ich auch das Zeug nicht, das sie hatten. Ich hatte einfach nur Schwierigkeiten mit der schwindelerregenden Kluft zwischen den Jaguar- und Bulgari- und Harry-Winston-Anzeigen und dem ständigen Kampf, meinen Anteil an der Baba-Ghanoush-Bestellung bei uns in der WG zusammenzukratzen.
    Wenn ihr danach war, tanzte meine Mutter immer noch am Rand dieser Zeitschriftenwelt, aber ich lebte längst in Angst, dass selbst die niedrigsten Sprossen der Mittelklasse inzwischen zu hoch für uns Kinder waren – wie eine Strickleiter, die vom Korb eines Heißluftballons herabbaumelte, ohne dass wir sie zu fassen bekamen, und jetzt schwebte er gen hohe See davon.
    Was würde aus den Generationen nach mir werden, wenn ich es nicht mal in dieser schaffte, den Fuß auf den Boden zu bekommen? Würde mein Scheitern einen weiteren Teddy Underhill hervorbringen oder, schlimmer noch, jemanden wie seine Mutter?
    Sechs Dollar die Stunde und meine ehrwürdige Abstammung waren ein ziemlich dünnes Rüstzeug gegen den Sturm aller möglichen Eventualitäten.
    Andererseits – war Geld überhaupt ein Schutz, wenn es ums große Ganze ging?
    Natürlich nicht.
    Man musste sich nur die beschissenen Hamptons ansehen, ganz zu schweigen von der Vielzahl gefährlicher Psychopathen unter meinen vermögenden Verwandten.
    Es dauerte zwei Stunden, bis Astrid und ihr Sancho-Panzer von dem Überfall auf das chinesische Restaurant zurückkamen, und bis dahin stand ich in der Küche und stopfte einen armdicken Wiesenstrauß, den ich gepflückt hatte, in eine Milchflasche, Stängel für Stängel.
    Die Alternative wäre gewesen, die Zeitschrift anzuzünden, um sie im Kies in der Einfahrt auszutreten, damit ich vor Langeweile nicht umkam.
    Alles Percodan Amerikas konnte mir dieses Wochenende nicht versüßen. Außerdem war uns der Wein ausgegangen.
    Ich hatte das Licht in der Küche angemacht, weil die einbrechende

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