Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Aussage zurückkommen, Ms Dare.«
»Gern.«
»Da wir nicht in der Lage sind, den Zeitraum, in dem das Skelett auf dem Friedhof gelegen hat, auf Monate – oder Jahre – festzulegen«, fuhr er fort, »wie konnten Sie sicher sein, dass die Beschädigung des Brustkorbs, die Sie sahen, nicht entstanden war, nachdem die Leiche auf dem Friedhof abgelegt worden war?«
»Wegen des Gestrüpps«, sagte ich.
Hetzler zwinkerte. »Das Gestrüpp. «
»Am Boden war höchstens so viel Platz«, sagte ich und hielt die linke Hand etwa vierzig Zentimeter über den Gips.
»Es ist unmöglich, dass jemand im aufrechten Gang versehentlich auf das Skelett getreten war. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in dem engen Hohlraum einen Schlag mit ausreichender Kraft hätte ausführen können, die dem Kind die Rippen brachen.«
»Das ist keine Expertenmeinung«, sagte Hetzler.
»Nein, Sir. Es ist meine Laienmeinung. Auf die ich nicht zuletzt komme, weil das Dickicht an dieser Stelle zum großen Teil seit den 1950ern unberührt war.«
»Trotz der beträchtlichen Zahl von Obdachlosen, die bekannterweise auf dem Friedhof ihr Lager haben?«
»Ich kann Ihnen nur eins sagen, Mr Hetzler«, sagte ich, »sie haben sich nicht viel Mühe gegeben, Unkraut zu jäten.«
Einer der Geschworenen unterdrückte ein Lachen.
»Trotzdem, Sie liefern uns hier Ihre Meinung aufgrund Ihrer Expertise als was, als freiwilliger Gärtner?«, schoss er zurück.
»Ja, warum nicht? Mein erster Eindruck der Vegetation schien mir von Bedeutung, denn den ermittelnden Polizisten war vielleicht nicht klar, wie das Gelände ursprünglich ausgesehen hat. Bis die Polizei vor Ort war, hatte sich viel verändert.«
»Und warum?«
»Weil ich am Morgen mit einer Machete und einer Heckenschere das Gestrüpp zurückgeschnitten hatte. Die Wildnis war etliche Gartenabfallsäcke weniger wild, als die Polizei eintraf. Deswegen waren wir ja dort. Wir hatten nicht vor, uns auf die Wiese zu setzen und Tee zu trinken.«
Hetzler sah den Richter an. »Euer Ehren, ich habe keine Fragen mehr an die Zeugin.«
Ms Galloway ließ mich ebenfalls ziehen.
Man bat mich, vom Zeugenstand zu treten, dann verkündete der Richter die Mittagspause, und jeder, der Beine hatte, stürmte aus dem Gerichtssaal.
Ich wartete, bis es leerer wurde, damit ich mich Kyle und Cate anschließen konnte, um mit ihnen gemeinsam den Gerichtssaal zu verlassen. Trotzdem raste mein Herz wie wild, bis ich Skwarecki draußen stehen sah.
47
»Irgendwas Neues?«, fragte ich Skwarecki.
»Noch nichts zu dem Wagen«, sagte sie. »Aber ich habe wieder zwei Leute darauf angesetzt.«
»Welcher Wagen?«, fragte Kyle.
Auf dem Weg zum Restaurant auf der anderen Straßenseite berichtete ich Kyle und Cate von den neuesten Ereignissen.
»Habt ihr nicht das Gefühl, ihr seid in eurer Bewegungsfreiheit ziemlich eingeschränkt?«, fragte ich zitternd, während wir im Schnee an der roten Ampel warteten.
»Ja doch, fünf Tage die Woche«, sagte Kyle und hauchte in seine kalten Hände. »Immer etwa um diese Zeit.«
Trotzdem leckte ich etwa eine Stunde später praktisch meinen Teller ab, und dann bat ich Cate, ihre Reste essen zu dürfen.
»Dem Magen geht’s wohl wieder gut?«, bemerkte Skwarecki, als ich fragte, ob wir Zeit für einen Nachtisch hätten.
»Dem geht’s prächtig. Und außerdem muss ich für gestern aufholen«, erklärte ich.
Ich hatte meine Aussage gemacht. Ich ging davon aus, dass ich mir keine Sorgen mehr machen musste – bis auf die, ob Angela und Albert verurteilt wurden.
Und darum machte ich mir große Sorgen.
Kyle ging als Erster, nachdem er einen Zehner und einen Fünfer auf den Tisch geworfen hatte. »Louise Bost will mir noch was zeigen. Wir sehen uns nachher drinnen.«
Als wir ins Gericht zurückkehrten, wartete er in der letzten Reihe des Zuschauerraums.
Ich saß zwischen Cate und Kyle und hatte zwar einen besseren Blick auf Richter und Geschworene als vom Zeugenstand aus, aber ich fand es schade, dass ich Angelas und Alberts Gesichter nicht sehen konnte oder die ihrer Anwälte.
Sie saßen bereits an ihrem Tisch, durch eine niedrige Balustrade von uns getrennt. Dann fiel mir ein neuer Kopf neben Louise Bost auf. »Wer ist der Typ?«
»Ihr Assistent«, flüsterte Kyle zurück. »Sie hat Anschauungsmaterial dabei.«
Vor uns saßen vielleicht dreißig weitere Zuschauer, die meisten allein, mit freien Plätzen auf beiden Seiten.
Die Geschworenenbank war noch leer, genau wie der
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