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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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ging in dem zukünftigen Wohnzimmer herum, »und dahin zwei Stühle, einer für dich, einer für mich.« Sie blieb stehen. »Es gibt keinen Platz mehr für einen kleinen Tisch am Sofaende. Du wirst ein Tischchen mit einer guten Lampe brauchen, um die Abendzeitung zu lesen. Und deine Bücher.« Wie später ihre Schwester auch, konnte sie sich nicht genug darüber wundern, daß ich nicht nur Dickens und Thackeray gelesen hatte, sondern auch Goethe und Schiller im Original, wie sie gern betonte. »Es tut mir leid, dir das zu sagen, Peter, aber du mußt das Wohnzimmer ein bißchen größer machen.«
     Ich erzählte ihr nicht, daß der skelettartige Raum die gleiche Größe wie alle Wohnzimmer in den Häusern vergleichbarer Wohnanlagen hatte. Wenn es zu klein für Susannah war, würde es eben größer sein müssen. Plötzlich wußte ich, wie man das hinkriegen könnte, ohne die Kosten zu erhöhen.
     Und jetzt standen wir also in einem der Wohnzimmer, die eine Folge des damaligen Entschlusses waren. Meine Schwägerin schaute auf die Uhr, stand auf, strich ihr Kleid glatt mit der graziösen, selbstverliebten Bewegung einer sich putzenden Katze, und ich wußte, daß sie jetzt, so wie ich mich einen Moment vorher gefragt hatte, wie es wäre, mit ihr statt mit ihrer Schwester verheiratet zu sein, daran dachte, daß sie mir das Herz gebrochen hatte. Damals hatte ich das fast geglaubt, obwohl ich da schon gewußt haben müßte, daß keines meiner Organe so zerbrechlich war.
     Es war im Sommer, nachdem sie ihren Abschluß im Barnard gemacht hatte. Sie lebte im soliden Tudor-Haus ihrer Eltern an einer baumbewachsenen Straße, nicht weit von meinem jetzigen Arbeitsplatz, und arbeitete in einem Tagescamp für Flüchtlingskinder. Ich hatte gesagt, als sie diesen Job annahm, sie folge wohl einer inneren Stimme oder habe zumindest ein weiches Herz für solche Kinder.
     »Was meinst du damit?« fragte sie, und da erzählte ich ihr endlich, daß ich sie schon Monate vor der Party zum ersten Mal gesehen hatte. Ich war inzwischen weit genug von der Zollhalle entfernt, um mich dem zu stellen, zumindest teilweise.
     »Aber ich war nie dort«, sagte sie.
     »Du mußt es vergessen haben.«
     »Ich habe ein bißchen ehrenamtlich für Hebrew Immigrant Aid Society gearbeitet«, beharrte sie, »aber ich war nie an den Piers, wenn die Schiffe ankamen.«
     Ich beließ es dabei. Das letzte, was ich wollte, war, mit Susannah zu streiten, obwohl wir an jenem bewußten Sommerabend dann doch stritten.
     Wir waren im Kino gewesen, und weil es so ein lauer Abend war und ihre Eltern nicht in einem Vorstadtviertel ohne Bürgersteige wohnten, sondern in einer Stadt, wo die Menschen noch zu Fuß zur Reinigung und zum Lebensmittelgeschäft und ins Kino gehen können, gingen wir in jener Nacht zu Fuß. Wir waren auf dem Heimweg, als sie darauf kam. Über unseren Köpfen war ein Baldachin aus Eichen und Ulmen und Ahorn mit Sternenflecken zwischen den Blättern, und an beiden Seiten standen dunkle Häuser, die in der Sommerhitze träumten. Unsere Zwillingsschatten erstreckten sich vor unseren Füßen, wurden länger, wenn wir uns von einer Straßenlaterne entfernten, und schrumpften und wanderten rückwärts, wenn wir die nächste erreichten.
     »Ich habe heute etwas sehr Seltsames gehört.« Ihre Stimme war so weich, sie störte die Nacht kaum.
     »Was denn?«
     »Ein Mädchen aus dem Tageslager kennt deinen Partner Harry. Ich glaube, sie mag ihn.«
     »Wunderbar«, sagte ich. Ich wollte Harry glücklich sehen. Ich schuldete ihm viel.
     »Ich weiß nicht, ob sie ihn so sehr mag, aber das war es nicht, was ich seltsam fand.«
     »Was war es denn?«
     »Harry hat zu ihr gesagt, du wärst kein Jude.«
     Sie hatte noch nicht einmal ihre Stimme erhoben, doch ich konnte fühlen, wie die Luft zitterte. Wir gingen noch ein paar Schritte. Die Schatten vor uns wurden blasser, und neue kamen von hinten.
     »Ich sagte ihr, sie müsse ihn mißverstanden haben.« Ihre Stimme war noch immer nicht lauter, hatte aber einen hartnäckigen Unterton. Sie hob das Gesicht zu mir. Direkt über ihrer schmalen Stupsnase, die, was ich damals nicht wußte, operativ verändert worden war, hatte sich eine einzige Falte in ihrer samtigen Stirn gebildet.
     »Er hat über jemand anderen gesprochen, nicht wahr?« fragte sie.
    »Spielt es eine Rolle?«
     Sie ließ meine Hand los. »Sei nicht dumm, Peter, natürlich spielt es eine Rolle.«
     Ich nahm ihre Hand und wollte

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