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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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ein amerikanischer Zivilist. STANLEY MINTZ, M. S. W. sagte das Messingschild vor ihm. Er streichelte das Namensschild mit den Fingern, während er mir seine Fragen stellte.
     »Fühlen Sie sich schuldig?«
     »Schuldig?« wiederholte ich.
     »Schuldig.« Mintz nahm seine Finger vom Namensschild, griff nach einem englisch-deutschen Wörterbuch und fing an zu blättern.
     »Ich weiß, was das Wort bedeutet.« Ich erschrak selbst, als ich hörte, wie verärgert meine Stimme klang. Das war ein Luxus, den ich mir nicht erlauben konnte.
     Mintz legte das Wörterbuch wieder hin und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Sie werden nirgendwo hinkommen, wenn Sie so empfindlich sind, junger Mann.«
     Ich antwortete nicht.
     »Also, tun Sie es? Sich schuldig fühlen, meine ich. Dabei ist nichts, wofür man sich schämen müßte. Das ist eine völlig normale Reaktion.«
     Ich starrte sein Namensschild an. Es war ein langes, metallisches Dreieck mit einem breiten Sockel und einer scharfen Spitze. Ich fühlte das Gewicht in der Hand. Ich sah, wie es Mintz' Kopf traf. Das Blut blühte auf wie eine Blume. Mintz' Augen öffneten sich, rund und tot, genau wie die Augen des Mannes in der Scheune.
     Vergessen Sie Schuld, lassen Sie uns über Rache sprechen, hätte ich sagen müssen.
     »Nein«, sagte ich zu Stanley Mintz.
     »Nein«, sagte ich nun auch zu Dr. Gabor. »Ich habe nie psychiatrische Hilfe gesucht. Warum hätte ich das tun sollen?«

FÜNF

    Hübsch von Aussehen, das brauche ich niemandem zu
    erzählen, denn wer ihn kennt, wird das wohl wissen.
    Sein Haar ist prachtvoll, ein dichter,
    brauner Lockenwald, blaugraue Augen…
    Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus
    von Anne Frank

    Warum er (Peter) Mouschi immer so an sich
    drückt, verstehe ich jetzt auch viel besser.
    Er hat natürlich auch ein Bedürfnis
    nach Zärtlichkeit.
    Anne Frank, Tagebuch, 16. Februar 1944

    Inzwischen ist ein Schatten auf mein Glück gefallen.
    Ich dachte schon längst,
    daß Margot Peter mehr als nett findet.
    Anne Frank, Tagebuch, 16. Februar 1944

    Susannah saß im Wohnzimmer, als ich an diesem Abend von meinem Termin bei Dr. Gabor nach Hause kam. Ich war nicht erstaunt, sie zu sehen. Meine Frau und ihre Schwester gehen gegenseitig in ihren Häusern ein und aus.
     »Madeleine ist oben mit den Mädchen«, sagte sie. »Ich vertreibe mir nur die Zeit. Normans Auto ist in der Werkstatt, und ich muß ihn abholen.«
     Ohne vom Sofa aufzustehen, wo sie mit einer Zeitschrift auf dem Schoß saß, hielt sie mir ihre Wange zum Kuß hin. Ich gehorchte. Diese Bewegung war unschuldig, aller Erinnerungen beraubt, wie so vieles in meinem Leben.
     »Wie geht's deiner Stimme?« fragte sie. »Es hört sich an, als würde es besser.«
     Ich hatte nur hallo gesagt, und das in einem rauhen Flüstern, aber sie ist eine anständige Frau, meine Schwägerin. Das war es auch, was damals zwischen uns getreten war.
     »Madeleine hat mir von dem Doktor erzählt«, fuhr sie fort.
     Ich hatte mich bereits gefragt, ob Madeleine ihrer Familie gegenüber Gabor erwähnt hatte. Eigentlich hatte ich angenommen, daß sie es vor ihrer Mutter, die mich auch ohne professionelle Diagnose ziemlich absonderlich fand, geheimhalten würde. Aber ihrer Schwester würde sie es wohl erzählen, der erfahrenen Psychologin, die einen Ehemann, der mutig genug war, in die Tiefe seines Wesens hinabzusteigen, bewundern würde.
     »Ich finde, es ist sehr mutig von dir. Die meisten Männer würden lieber sterben, als zu einem Psychiater zu gehen.« Sie fuhr sich mit der Hand durch ihre seidigen Haare, und ich fragte mich, obwohl ich das eigentlich fast nie tue, wie es gewesen wäre, wenn ich sie geheiratet hätte statt ihre Schwester.
     Wir hatten uns auf einer Party kennengelernt, ein paar Monate, nachdem Harry und ich Partner geworden waren. Ich hätte nie den Mut aufgebracht, mich ihr zu nähern, und wenn ich noch immer als Bedienung und Taxifahrer gearbeitet hätte, wäre ich auch nicht zu dieser Party gegangen. Als ich an jenem Abend unter den Strahlenkränzen der Straßenlaternen den Broadway entlangschritt und das Quietschen der Reifen auf der nassen Straße hörte, zweifelte ich noch immer. Ich würde niemanden kennen, außer flüchtig den Mann aus dem Kurs in Immobilienrecht an der Abendschule, zu dem ich mich endlich entschlossen hatte. Das Lokal würde voller Studenten sein, überlegte ich, und voller Kriegsveteranen und fremder Menschen, die entweder wissen wollten,

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