Der Junge, der Anne Frank liebte
unbefangen.
Die Männer, über die er sich beschwert hatte, waren eine andere Sache. Die Banker waren glücklich, Peter van Pels regierungsgesicherte Darlehen zu geben, und die örtlichen Behördenvertreter und Stadträte nahmen meine Anrufe entgegen und steckten meine Abzahlungen ein. Einige von ihnen wunderten sich, wie ich in dieses Chaos in Europa geraten war, aber niemand wollte mir eine Frage stellen. Sie waren erleichtert, einen guten Christen zu finden, der Hitler standgehalten hatte und mit dem man besser zurechtkam als mit manch anderem. Ich diente ihnen als der lebende Beweis dafür, daß sie nichts gegen Ausländer hatten. Ich war, witzelte George Johnson, nachdem er die Papiere für das erste Darlehen unterschrieben hatte, ihr privater Marshall-Plan.
»Ich hatte Geld zu investieren«, sagte ich zu Dr. Gabor. »Aber es war mehr als das.«
»Was meinen Sie?«
»Ich habe immer geschickte Hände gehabt.«
»Aber Sie hatten sicher mehr zu bieten.«
»Es war meine Idee, die uns an die Spitze des Wettbewerbs gebracht hat.« Wenn Harry das je vergessen haben sollte, würde ich ihn daran erinnern. Ich war mehr als nur ein Aushängeschild.
»Welche Idee war das?«
»Wir bauten ein größeres Haus und verkauften es für denselben Preis. Ohne Abstriche an der Qualität.«
»Wie haben Sie das geschafft?« Die Eulenaugen betrachteten mich mit Interesse. Er hatte den Respekt des Intellektuellen vor praktischer Erfahrung.
»Es war einfach«, sagte ich. Es war, wie schon gesagt, so einfach, daß ich erstaunt war, daß vor mir noch niemand auf die Idee gekommen war. Aber es hatte ja auch sonst keiner eine Susannah gehabt. Zumindest nicht damals.
»Platz innerhalb eines Hauses ist billig. Die Kosten betragen nur ungefähr ein Drittel von den Gesamtkosten pro Quadratmeter. Und mehr Platz verlangt auch keine weiteren Installationen oder elektrische Leitungen oder Fenster. Die anderen haben es inzwischen auch kapiert, aber wir waren die ersten, die es getan haben.«
»Und Sie sagen, die Idee ist Ihnen gekommen?«
»Aus heiterem Himmel«, antwortete ich.
Genauer gesagt, aus dem Himmelblau von Susannahs Augen, aber Susannah war ein weiteres Thema, das ich nicht vorhatte, mit dem Doktor zu besprechen.
»Dem Geschäft geht es gut«, fuhr ich fort. »Die Firma ist solide. Was mit meiner Stimme los ist, kann nichts damit zu tun haben.«
Er beobachtete mich. Der Moment der Neugier war vorbei. Das Gleichgewicht zwischen uns hatte sich wieder verschoben.
»Haben Sie in der Vergangenheit je psychiatrische Hilfe gesucht, Herr van Pels?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht einmal, als Sie jene Tremores entwickelten?«
»Ich wußte, daß der Arzt nicht recht hatte. Das Letzte, was ich wollte, war eine Rückkehr ins D.-P.-Lager.«
»Was war mit dem Lager? Um eine Einreisegenehmigung zu bekommen, war üblicherweise ein psychologisches Gutachten erforderlich.«
Er war tatsächlich ein schlauer Teufel. Sie haben es Begutachtung genannt. Ein Hindernisrennen wäre der passendere Ausdruck gewesen. Die psychologische Prüfung war noch hinterhältiger als die physische; da wußte man wenigstens, wonach sie suchten, eine krankhafte Veränderung der Lungen, Spirochäten im Blut. Aber wer wußte schon, hinter was diese Zivilisten mit ihren unverständlichen Titeln – psychiatrischer Sozialarbeiter, Diplomsozialarbeiter, Doktor der Psychologie – her waren? Wer konnte raten, welche Antwort einem die Tür öffnen und welche sie zuschlagen würde? Und wer konnte sich in diesem Büro, in dem SSOffiziere früher ihre Befehle ausgegeben und ihre Unterlagen aufbewahrt hatten, überhaupt auf derartige Fragen konzentrieren? Denn das war der Ort, wo sie ihre Begutachtungen durchführten. Ich habe mich oft gefragt, wer auf die großartige Idee gekommen ist, ein D.-P.-Lager in ehemaligen SS-Baracken unterzubringen. War es ein Spaßvogel mit einem verschrobenen Sinn für Ironie gewesen oder einfach ein Pragmatiker, der einen prima Gebäudekomplex entdeckt hatte? Vielleicht letzteres. Die ganze Operation wurde von der UNRRA geleitet, aber Amerika gab den Ton an.
Als ich damals das Büro betrat, hatte ich noch das Zusammenschlagen von Hacken in den Ohren. Als ich mich hinsetzte, wo es mir gesagt wurde, hörte ich das gutturale Knurren von Drohungen und das gezischte Geflüster tödlicher Geheimpläne. Doch der Mann, der mir an diesem Morgen am Tisch gegenübersaß, war kein deutscher Offizier. Es war
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