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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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heiraten, aber wir waren trotzdem Mann und Frau. Nach dem Krieg hat die holländische Regierung die Ehe anerkannt. Ich habe das Dokument.«
     Siehst du, Mammichen, er hat nach allem doch noch eine anständige Frau aus ihr gemacht, beziehungsweise die niederländische Regierung hat es getan.
     »Das ist eine der vielen Lügen in diesem Stück. Es zeigt meinen lieben Ehemann als Mann ohne Familie, aber er hatte eine Frau und einen Sohn aus erster Ehe. Er hat das Kind allein aufgezogen, aber gleich nach der Kristallnacht sah er die Gefahr und war weitsichtig genug, Werner mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Das hat ihm sehr wehgetan. Aber in England war der Junge sicherer, das wußte er. Dort würde es vielleicht Bomben geben, aber keine Nazis. Deshalb hat er Werner weggeschickt.«
     Glücklicher Werner, dachte ich wieder und war erstaunt, daß ich noch immer den Neid spürte, obwohl die Gefahr doch schon so lange vorbei war. Ich erinnerte mich, daß ich ihn an dem Tag, als ich in Amerika ankam, in der Zollhalle traf. Er suchte nach jemandem, der seinen Vater kannte. Er war auf den Jahrmarkt der Erinnerungen gekommen. Ich hatte vorgegeben, niemanden namens Pfeffer zu kennen. Damit hatte ich mich selbst geschützt, aber zugleich auch ihn geschont. Das letzte Mal, als er seinen Vater sah, stand Pfeffer auf einem Bahnsteig und winkte einem Zug voller Kinder nach, einem Zug, der westwärts fuhr, Richtung Sicherheit. Als ich Pfeffer das letzte Mal sah, war er in einen Viehwaggon gepfercht, auf dem Weg nach Auschwitz; Richtung Osten. Werner erinnerte sich an starke Arme, die ihn aus einem Ruderboot gehoben hatten. Hinten auf dem Foto, das Pfeffer in seinem Zimmer aufhob, hatten wir die Worte lesen können: Werners erste Bootsfahrt, Pfingstsonntag 1932. Ich aber erinnerte mich an Pfeffers Arm, grün und blau und blutend von den unbedachten, aber nicht unabsichtlichen Schlägen eines Wachmanns mit dem Gewehrkolben, als Pfeffer ihn ausstreckte, um tätowiert zu werden. Laß es gut sein, hätte ich damals, vor der Zollhalle, zu Werner sagen sollen. Such nicht nach Erinnerungen, die du dann nie wieder vergessen kannst.
     »Sein Sohn ist nicht zum Prozeß hergekommen?« fragte ich.
     Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Es wäre für ihn leichter gewesen als für mich. Werner lebt hier in Amerika, in Kalifornien. Aber er heißt nicht mehr Werner Pfeffer. Er nennt sich jetzt Peter Pepper. Er ist ein erwachsener Mann, es ist seine Entscheidung. Trotzdem kann ich nicht so tun, als wäre ich besonders glücklich darüber. Er hätte den Namen Pfeffer behalten müssen. Er schuldet seinem Vater so viel.«
     Ich stimmte ihr zu. Ich hatte meinen Namen nicht geändert, obwohl ich meinem Vater weniger schuldete. Ich mußte es natürlich auch nicht. Ein guter amerikanischer Name, hatte der Zollbeamte gesagt.
     »Man soll keine schlafenden Hunde wecken, hat Werner zu mir gesagt.«
     Werner hatte also, genau wie ich, schließlich doch etwas gelernt.
     »Aber ich kann es nicht. Das ist der Grund, daß ich an Herrn Frank geschrieben habe. Wir waren alte Freunde. Mein Mann und ich kannten Herrn Frank und seine Frau schon vor dem Krieg. Auch danach war er freundlich zu mir. Wir haben uns oft samstagsabends mit Miep und Jan getroffen, diesen Leuten, die ihnen während des Kriegs geholfen haben, und Karten gespielt. Bevor ich die Rente meines Mannes bekam, hat Herr Frank mir großzügig Geld geliehen. Deshalb habe ich nichts gesagt, als er das Tagebuch seiner Tochter veröffentlichen wollte. Ich habe nichts gesagt. Wenn er es richtig fand, die Worte des Kindes vor der Welt auszubreiten, war es nicht an mir, das zu verbieten. Aber das Stück ist etwas anderes. Ich habe ihm gesagt, ich will das Stück nicht. Ich habe ihm gesagt, ich würde dagegen klagen. Wissen Sie, was er mir geantwortet hat?«
     Sie legte die Gabel auf den Tisch und beugte sich zu mir. Jede ihrer Bewegungen war eine körperliche Demonstration. Sie zog die Schultern hoch, schüttelte den Kopf und griff mit beiden Händen nach meinen. Vielleicht war es ihre Ähnlichkeit mit Jean Harlow, die uns beide so zu ihr hingezogen hatte, meinen Vater und mich.
     »Ich soll doch nicht so kindisch sein zu glauben, daß diese mächtigen Leute nicht wissen, was sie aus juristischer Sicht schreiben dürfen und was nicht.«
     O Otto, das war nicht besonders gut von dir. Und wenn ich daran denke, daß du mir vorgeworfen hast, ich hätte einen schwachen

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