Der Junge, der es regnen liess
Demütigung, die als dunkle Wolke über meinem Start in der neuen Schule hing. Keine Leute, die hinter meinem Rücken grinsten. Den coolen Mann spielte ich aber auch nicht. Stattdessen bewunderte ich ganz unschuldig ein Mädchen aus sicherem Abstand.
Ich nehme an, im Italienischkurs fing alles an.
»Rosie, du arbeitest mit Clem zusammen.«
Bei uns beiden herrschte Schweigen. Mein Herz schlug schneller.
»Ich gebe euch ungefähr fünf Minuten Zeit, euch den Arbeitsbogen zum Thema ›Den Weg finden‹ durchzulesen.« Mein Herz legte noch einmal an Tempo zu. »Wenn ihr wollt, könnt ihr auch von dem Text im Arbeitsbogen abweichen und hier in Schottland nach dem Weg fragen.«
Mein Herz überschlug sich.
»Woher kommst du noch mal, Clem?«
»Aus Eastbourne, Miss.« Ich fragte mich, warum sie das Wort ›noch mal‹ in ihre Frage einbaute.
»Wie schön. Na dann mal los.«
Ich wechselte die Plätze. »Hi. Ich bin Clem.« Was hätte ich denn sonst sagen sollen?
»Rosie«, sagte sie, knapp und süß.
»Hör mal, Rosie, ich bin nicht gerade ein Knaller in Italienisch. Ich habe letztes Jahr auf meiner alten Schule nur einen Schnellkurs gemacht. Wenn ich Fehler mache, sei mir bitte nicht böse.«
»Also, ich bin grottenschlecht, ich würde sowieso nicht merken, ob du irgendwelche Fehler machst.«
»Okay. Wollen wir anfangen?«
»Mach hin, Amigo.«
»Das ist Spanisch.«
»Was?«
»Amigo ist Spanisch, nicht Italienisch.« Ich wusste, es war unpassend, das zu sagen. Dämlich war es.
Nicht cool.
»Das weiß ich. Was denkst du, was ich bin? Total bekloppt oder was?«
»Ganz und gar nicht.«
»Na bitte.«
»Gut, wollen wir dann noch einmal anfangen?«
»Okay, mach hin … AMIGO.«
»Okay«, sagte ich.
»Nun mach schon.«
»Okay.«
»Verdammt noch mal, FANG AN!«, sagte sie.
Ich atmete tief ein. »Scusi, dove e la piazza principale?«
»Was?«
»Dove e la piazza principale?«
»Sag das erst mal auf Englisch.«
»Dann wäre es ja keine Italienischübung.«
»Mir doch egal, es ist ja nicht so, als würde man Italienisch hier oben irgendwie brauchen. Hier gibt’s ne Menge Leute, die genug Probleme mit ihrem Englisch haben. Italienisch wäre für die also ne komplette Fremdsprache.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Inzwischen war mir klar, dass ich mich zu diesem Mädchen hingezogen fühlte. Wirklich hingezogen.
»Ja, da hast du wohl recht.«
»Das sollte übrigens ein Witz sein.«
»Oh ja, natürlich.«
»Gott im Himmel. Sag mal, gibt’s da, wo du herkommst, keinen Sinn für Humor?«
»Tut mir leid. Ich hab nur gerade deine Anstecknadeln bewundert. Die von Bright Eyes gefallen mir.«
»Du kennst Bright Eyes ?«
»Natürlich kenne ich die. Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Emo-Küken bist«, sagte ich. Ich hatte es einfach so gesagt, ohne nachzudenken. Was für einen Deppen hatte ich aus mir gemacht? Weshalb hätte ich das wissen sollen – ob sie es nun war oder nicht? Ich hatte nicht aufgepasst.
Jetzt wusste sie, dass ich hinter ihr her war. Dass ich sie im Auge hatte. »Wer ist hier ein verdammter Emu?«
»Nein, kein Emu. Emo – das bedeutet emotional, so wie die Lieder der Band. Mit den Vögeln hat es nichts zu tun.«
Ich lachte. Ihr perplexer Gesichtsausdruck erinnerte mich an Paris Hilton. Nicht, dass sie auch nur im Geringsten wie Paris Hilton aussah, Gott sei Dank nicht. Es war einfach diese verlegene Art, mit der sie sich in sich selbst zurückzog, wie eine Art Dornröschen. Ich glaube, sie bemerkte es selbst. Und dann sprachen wir, statt das Rollenspiel durchzuführen, über Musik und die Schule, über Schüler und Lehrer und allen möglichen anderen Unsinn.
»Du könntest es ja mal mit The Smiths versuchen«, schlug ich ihr vor.
»Mit wem?«
»Hast du noch nie von The Smiths gehört?«
»Nein.«
» The Smiths werden deine Seele retten«, sagte ich.
»Alles klar, John Peel, jetzt quatsch keine Opern, sondern sag mir einfach, wer die sind.«
Und das tat ich. Sie sagte, sie würde noch heute Abend herausbekommen, wer sie waren. Dann war der Kurs zu Ende. Und ich war fix und fertig.
Ich wusste, sie würde am nächsten Tag kaum abwarten können, mir zu erzählen, dass sie die beste Band der Welt gehört hatte. Und wenn nicht, wenn sie fand, sie wären totale Scheiße, dann wusste ich, dass wir einfach nicht füreinander bestimmt waren. Darauf vertraute ich.
Wie konnte irgendjemand finden, The Smiths wären scheiße? Es ist ein gutes Barometer, um jemanden zu
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