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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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bedenken muss: Sie hatten es nicht nur auf mich abgesehen. Sie haben die meisten Leute bis aufs Blut schikaniert. Grob geschätzt waren sie ungefähr zu zehnt. Manchmal tauchte nur eine Handvoll von ihnen auf. Aber sie waren immer zu mehreren und stellten immer eine Bedrohung dar. Ich sagte mir selbst unaufhörlich: Nur ein Jahr, dann bist du hier weg. Ich hatte ein dickes Fell und war entschlossen.
    Meine Entschlossenheit ließ mich den Bogen nicht überspannen. Ich hatte die Situation unter Kontrolle. Es hatte keinen Sinn, sich an einen Lehrer zu wenden. Es war ja nicht so, dass sie von der Situation nichts mitbekamen. Sie steckten ihren Kopf in den Sand und taten so, als würde nichts passieren. Vermutlich war in Wirklichkeit auch die Hälfte der Lehrer von den NEDs eingeschüchtert worden, vor allem die Lehrerinnen. Vielleicht wären ihnen ihre protzigen Autos von vorn bis hinten zerkratzt worden, wenn sie sich ihnen entgegengestellt hätten.
    Es gab ein paar Bemerkungen über Miss Croal. Das ist an mir abgeperlt wie Wasser von einem Entengefieder. Die Gerüchte habe ich gehört. Es war ja nicht so, dass ich wie Helen Keller in der Schule herumwanderte. Was hätte ich machen sollen? Ich ließ sie ihre Sprüche über mir ausschütten. Ich fing an zu lernen, wann ich meinen iPod einschalten musste, um alles andere auszuschließen.
    Am wichtigsten war es mir, Rosies Ängste zu beschwichtigen. Außerdem machte ich mir Sorgen, dass Miss Croal zum Opfer werden könnte, weil die Leute über sie redeten – weil sie über uns redeten. Wenn die Schulleitung Wind davon bekam, könnten sie ihr das Leben schwer machen. In gewisser Weise war ich dankbar dafür, dass die meisten der diffamierenden Kommentare von den NEDs kamen, denn deren Ansichten und Überzeugungen galten in der Schule nicht gerade als glaubwürdig. Um es im vor Ort gebräuchlichen Jargon zu sagen, sie quatschten voll den Scheiß.
    Nein, ich sage nicht, dass ich unschuldig war. Nicht eine Minute lang tue ich das. Ich gebe zu, dass ein Teil von mir die Aufmerksamkeit genoss, die Zweideutigkeit der Situation und auf perverse Weise sogar die potenziell ernsten Konsequenzen, wären die Bemerkungen wahr gewesen. Es tut gut, wahrgenommen zu werden. Schließlich sind wir im Herzen doch alle narzisstisch, oder etwa nicht? Ich hätte mit dieser Geschichte auf Jahre hinaus etwas zu erzählen gehabt.
    Soweit ich mich erinnere, haben Miss Croal und ich die Situation nie so richtig durchgesprochen. Es gab ja nichts durchzusprechen. Nichts. Unsere Beziehung blieb mehr oder weniger dieselbe. Aber das bedeutete nicht, dass die Sache nicht in der Luft hing. Das tat sie durchaus, doch wir sprachen das Thema nie an. Die Bombe schwebte weiter über uns. Ich besuchte weiter ihre Lerngruppen und die Zeit, die ich in ihren Englischstunden verbrachte, blieb, wie sie immer war: unbefriedigend, nicht weiter erwähnenswert und uninspirierend.
    Das macht allerdings keinen schlechten Menschen und auch keine schlechte Lehrerin aus ihr. Das Problem könnte an mir gelegen haben. Ich begriff, dass sie ihre Stunden für eine Klasse vorbereitete, die nicht meinem akademischen Leistungsstand entsprach. Das ist kein Snobismus und keine Arroganz von meiner Seite aus, das ist Realität. Ich hatte keine Herausforderung.
    Tausende von Schülern mögen ihre Lehrer und umgekehrt. Früher oder später wird man aber dafür gejagt. Früher oder später kommen sie dir auf die Spur.
    In jeder Umgebung bekommt man ein Gefühl dafür, von wem man sich besser fernhält. Diese neue Schule bildete da keine Ausnahme. Sie zogen in Gruppen umher. Nicht weniger als vier, nicht mehr als zwölf. Sie wirkten schlecht ernährt und ungepflegt. Der Zustand ihrer Haut sprang mir ins Auge, sie wirkte beschädigt und ungesund. Der Teint der Armut. Zwei hatten auffällige Narben auf ihren rechten Wangen, die aussahen, als wären sie ihnen vorsätzlich zugefügt worden. Jedenfalls wirkten sie für mein unschuldiges, naives Auge so. Diese Narben wurden wie Orden getragen und sandten eine eindeutige Botschaft an Umstehende aus. Es funktionierte. Ich war … erschrocken ist das falsche Wort … verstört trifft es bei Weitem besser. Sie verstörten mich – die Narben, meine ich.
    Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ich hörte, wie sie untereinander redeten, war es mir nahezu unmöglich zu verstehen, was sie sagten. Hier und da mal ein Wort, das war alles. Ihr Tonfall und ihr Temperament hingegen waren wesentlich leichter

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