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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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meine neue Umgebung in mich auf. Waren die Schüler an dieser Lehranstalt tatsächlich so anders als in meiner alten Schule? Um ehrlich zu sein, ja, das waren sie.
    Zuerst einmal gab es hier auch Mädchen. Jede Menge Mädchen. Nein, ich würde nicht sagen, dass die Schule auf den ersten Blick besonders undiszipliniert wirkte, aber eine kurze Zeit der Beobachtung enthüllte jugendliche Eile, feindseliges Drängeln, Schubsen und Stoßen, hier und da ein Spucken, Boxhiebe auf Arme, Schläge gegen den Kopf, verbalen Vandalismus und geschleuderte Taschen. In meiner letzten Schule herrschte um diese Zeit am Morgen eine unheimliche Stille. Von allen Schülern wurde erwartet, dass sie auf den Fluren und Gängen in eine Richtung gingen. Wie in der Armee. Wie im Club der toten Dichter. Drakonische Vorschriften. Makellose Uniformen wurden getragen. Die Kragen gestärkt. Die Hosen gebügelt.
    Der Kleidungsstil hier gefiel mir jedoch viel besser. Ich fand es klasse, dass viele Schüler die originale Uniform künstlerisch abgewandelt hatten. Das sagte eine Menge über die Schule aus. Über die Leute. Davon abgesehen trugen viele Schüler überhaupt keine Schuluniform, sondern zogen die Einheitskleidung der Prolls vor: diese Zusammenstellung aus Trainingshosen und Käppi. Scheußlich. Die Stilbewussteren stopften sich die Trainingshosen in ihre weißen Socken … hübsch.
    Vielleicht sollte ich meine Uniform auch abwandeln. Vielleicht würde ich etwas total Verrücktes tun. Meinen obersten Knopf aufmachen oder sogar noch radikaler werden und meine Krawatte mit der dünnen Seite nach oben tragen. Wie ikonoklastisch! Haltet euch fest!
    An Gruppen gab es die üblichen Verdächtigen: Streber, Rocker, Grufties, Fans von Kaiser Chiefs (und ähnlichen Formationen), Klone in Topman/Topshop/H&M/River-Island-Outfits etcetera etcetera. Ich stand da und fragte mich, in welche Schublade diese Schule mich wohl stecken würde. Wer würde mir als Erstes ein Etikett verpassen? Ohne Zweifel wollte ich in eine Minderheitengruppe. Eine Minderheitengruppe mit nur einem Mitglied: Die Gruppe der Englischliebhaber. Ich vermutete aber, dass das Wort Liebhaber hier ein Tabu war.
    Die Gruppe der Englischverrückten. Das hörte sich nach einer tollen Gruppe für mich an.
    Wie viele Leute an dieser Schule würden wohl gerne The Smiths hören? Wie viele Leute wussten überhaupt, wer die waren?
    Ich hatte noch nie so viele Mädchen auf einem Haufen gesehen, jedenfalls nicht gleichzeitig. Und schon gar nicht um diese Uhrzeit an einem Montagmorgen – und in dieser faszinierenden Vielfalt von Formen und Stilrichtungen und … Attraktivität. Ich hielt mich selbst nicht für unattraktiv. Allerdings auch nicht für besonders attraktiv, doch meine Position als Neuer an der Schule besaß eindeutig eine gewisse Anziehungskraft. Vielleicht würde mein Akzent mir den Weg zum Herzen eines Mädchens ebnen?
    Oder sogar noch mehr. Schließlich musste ich mich auf die positiven Aspekte konzentrieren. Im Plural.
     

 
    Schule
    Ich weiß nie, wie viele Schritte man gehen oder wie viele Sekunden man im Kopf zählen sollte, bis man sich zur Seite dreht, um nach jemandem zu sehen, der an einem vorbeigeht. Das Letzte, was man will, ist ja, sich im selben Moment umzudrehen wie der andere, sodass man einander in die Augen sehen muss. Man will unbedingt diese unbeholfene Pause vermeiden, die eine Ewigkeit zu dauern scheint, ehe man sich wieder etwas anderem zuwenden darf – was die ganze Übung des Umdrehens im Grunde sinnlos macht.
    So sehr ich wollte, ich drehte mich nicht um. Ich hielt beim Beobachten Abstand. Sah dem Geschehen von einem sicheren Platz in der hintersten Reihe aus zu. Versteckte mich in der Kantine hinter einem Sandwich. Jeder Tag war eine Lektion in Voyeurismus, aber darum geht es für jeden hormongesteuerten Teenager in einer Schule, oder etwa nicht? Es war auch frustrierend, weil mir allzu bewusst (oder unbewusst) wurde, wer zu haben war und wer vergeben. Das Letzte, was ich wollte, war, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Schon gar nicht mich selbst. Es war ja nicht so, dass ich wie sonst was nach einer Freundin lechzte. Ich spielte einfach nur meine Rolle als Teenager aus. Triebhaft und auf Frauenjagd. Auf Teenager-Frauenjagd, ohne Perversitäten.
    Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich isoliert. Obwohl es nur ein paar Wochen dauern sollte, setzte es mir zu. Ich begann, die Vorstellung zu hassen, auf diese Schule zu gehen. Jeden wachen Augenblick

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