Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
Vom Netzwerk:
der Annahme brachte, es müsse Blut sein. Oder noch schlimmer, irgendeine eiterartige Flüssigkeit. Saft, der Gefahr bedeutete. Nimm die Hand nicht weg. Lass sie da liegen, drück sie fest drauf, halt das Auge da, wo es hingehört, pass auf, dass das verdammte Ding nicht rausfällt. Wenn du es rausfallen lässt, bist du erledigt.
    Für immer.
    Halt es fest! Verschwende keine Kraft damit, nachzusehen, ob es Blut oder Wasser ist, konzentrier dich einfach darauf, es festzuhalten. Kümmere dich auch nicht um den pochenden Schmerz in deinem Kopf, um das brennende, pochende Ohr, den ununterbrochenen Summton, deinen nassen Hemdkragen.
    Ist es Wasser oder Blut?
    Halt die Hand auf das Auge. Halt es fest!
    Lass das verdammte Ding nicht herausfallen und davonrollen. Es ist kein Ball, es würde nicht zu dir zurückspringen. Es würde nicht zurück an seinen Platz fallen. Lass es nur nicht davonrollen, in eine Abflussrinne oder gegen die Stoßstange eines Autos. Hör dir den Song an und bleib ganz ruhig. Ich bin sicher, es ist nur Wasser. M. Ward singt so schöne Songs. An einem Wintermorgen klingen sie beruhigend im Ohr. Ein Streifen Licht an einem ansonsten trüben Tag. Genieße es.
    Sing weiter, M .
    Es ist schwierig, mit einem einzelnen Kopfhörer ein Lied zu hören, wenn man im anderen Ohr einen Summton hat. Und dazu noch Autos und Stimmen und Gelächter hört.
    Wer lacht da? Wer in seiner unendlichen Weisheit lacht über mein Unglück?
    Tritt vor, nenne deinen Namen, dein Ziel.
    Es ist der fleischgewordene Teufel, der Eiswerfer selbst. Kein Mitleid mit ihm! Der Verursacher dieser Schweinerei ist durch mein summendes Ohr hörbar. Ein Gewirr von Geräuschen mischt sich nun in das Lied von M. Ward , das unaufhörliche Summen und die Stimme dieses Dreckskerls.
    Lachen. Kichern. Knurren.
    HALT DAS AUGE FEST, habe ich dir gesagt.
    »Wie geht’s deinem Auge?«, fragte Drecksack Nummer eins.
    »Musst aufpassen. Hier fliegen Schneebälle rum«, sagte Drecksack Nummer zwei.
    »Echt, eins von den Dingern könnte dir glatt das Auge rausballern.« Drecksack Nummer drei.
    Gelächter. Schallendes Gelächter. Ich warte auf den Tritt. Ich warte auf den Boxhieb. Auf das Finale. Das Ende. Den Schlag. Den Kinnhaken. Die Kopfnuss an die Schläfe. Das Knie in den Rippen. Blut oder Wasser?
    »He, englische Fotze.« Ein weiterer Drecksack gesellte sich dazu.
    »Tauchst hier auf und klaust uns die Weiber«, quiekte ein anderer Drecksack.
    »Fickst unsere Lehrerinnen«, sagte der letzte Drecksack.
    Schritte entfernten sich. Dann waren sie weg. Mein Blut kochte. Los, gib dem heilen Ohr Luft! Zieh M. Ward raus, das bisschen Sonnenschein brauchst du jetzt nicht mehr. Musik der Rache wird gebraucht.
    Harte Sachen. Bring dich in Stimmung. Richte dich wieder auf. Atme tief – ein … aus … ein … aus. Ein durch die Nase … aus durch den Mund … Lass dir Zeit. Halt die Hand aufs Auge. Die Hand zitterte wie ein erschrockenes Blatt. Ein kleines Blatt, auf einem Jahrmarkt verloren.
    Allein.
    Meine Hand schwitzte von der Anstrengung, das Auge in seiner Höhle festzuhalten. Die Tür zuzuhalten. Mein Hirn war durchdrungen von Gedanken an die Konsequenzen. Die Rache. Die furchteinflößende Rache. Die Rache des einäugigen Monsters mit dem kaputten Gehör.
    Er wird kommen. Behindert oder nicht. Er wird kommen.
    Auch Monster können nicht ewig einstecken. Schlagt weiter drauf, und das Monster kommt heraus. Der Winterschlaf ist vorüber. Schon bald wird der Schläfer herrschen.
    Ich spürte, wie das Auge sich hob. Wie es zuschwoll. So riesig, als stünde es kurz vor der Explosion. Wie bei einem Boxer, der sich in seine Ecke zurückgezogen hat.
    Mein Rückzug in die Ecke hieß: weg vom Schultor. Ich musste nach Hause kommen. Irgendwohin, nur nicht hier. Halt das Auge fest. Halt es ganz fest!
    Die Kopfhörer baumelten herum. Im heilen Ohr klopfte es. Der Kopf stand kurz vor dem Platzen. Der Schweiß strömte. Das heile Auge schwamm. Das Blut kochte. Das Hirn dampfte. Ich musste ruhig bleiben. Mich konzentrieren. Auf die Zukunft konzentrieren.
    Wer lachte über mich? Lachte Fran McEvoy über mich? War er im Begriff, zu zielen? Lag er auf der Lauer und zielte? Knetete er zwei Bälle aus Eis fest zusammen, lag auf der Lauer, zielte und warf mir den Schneeball an den Kopf?
    War dieser McEvoy darauf aus, mir Schmerzen und Demütigungen zuzufügen? Wollte er sehen, wie ich mich quälte? Dies hier ging über Spottnamen, über dämliches Verhalten hinaus. Ging

Weitere Kostenlose Bücher