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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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dann los?«
    »Hast du die Gerüchte nicht gehört?«
    »Was für Gerüchte?«
    »Was für Gerüchte? Die Gerüchte über dich und die Schlampe Croal.«
    »Wie bitte?«
    »Du hast richtig gehört.«
    »Was hat Cora jetzt schon wieder erzählt?«
    »Cora hat überhaupt nichts erzählt. Brauchte sie auch gar nicht«, blaffte Rosie.
    »IHR BEIDE SOLLT WEITERARBEITEN!«, befahl uns die Lenihan.
    »Wir reden nach der Stunde«, flüsterte ich.
    Wenn ich nicht damit beschäftigt war, den Durchgeknallten der Schule auszuweichen, musste ich mich also vor den Tratschweibern und Gerüchteköchen abschirmen. Ich möchte nicht immer wieder von meiner alten Schule anfangen, aber dort galt es als völlig normal, mit seinen Lehrern eine Beziehung aufzubauen, man wurde sogar dazu ermutigt. Wenn man ähnliche Überzeugungen in dieser Umgebung vertrat, wurde daraus offenbar geschlossen, dass man einem Lehrer den Schwanz lutschte oder versuchte, eine Lehrerin ins Bett zu kriegen. Wie traurig. Was für Fantastereien! Lebten diese Leute etwa im Hohlraum ihrer Fernseh-Seifenoper und billigen Jugendzeitschriften? Wie unglaublich grotesk!
    Ich verachtete jeden Einzelnen von ihnen für diese Beleidigung. Dafür, dass sie versuchten, Rosie und mich auseinanderzubringen. Die erbärmlichste Vorstellung, die man sich denken kann. Ich hasste es, wie sie alle vorgaben, die Pubertät längst hinter sich zu haben. Ich hasste es, wie sie ihr jämmerliches Erwachsenengetue zur Schau stellten, und es widerte mich an, wie sie ihre verdorbene Zeitgeist-Philosophie jedem zum Besten gaben, der sie sich anhörte. Diese ekelhafte Mischung aus Big Brother und X Factor hätte mit einem Fingerschnippen entlarvt werden können, aber trotzdem konnten sie fortfahren, ihre abscheulichen Lügen über mich zu verbreiten.
    Es muss schlimm um einen stehen, wenn man sich auf einmal erlaubt, Mitleid mit diesen verrückten Verbrechern zu empfinden, die in den Vereinigten Staaten und in Deutschland ihre ganze Schule zusammengeschossen haben. Es ist die tägliche Demütigung, die sie zweifellos von ihren Opfern erdulden mussten, zusammen mit der Isolation, die das Fass zum Überlaufen bringt. Auf makabre Weise sind sie selbst getötet worden, lange vor denen, die nun getötet werden. Weiter als das ging mein Mitgefühl jedoch nicht.
    An diesem Tag verließ ich die Schule früh, gleich nach der Italienischstunde. Ich hatte keine Lust auf die Typen. War nicht in der Stimmung für die Diskussion mit Rosie. So oder so hätte es lediglich die Wut neu angefacht, die ich empfunden hatte, als ich sie vor ein paar Wochen gesehen hatte, wie sie am Haupteingang der Schule hinter einem Auto kauerte. Sie spionierte mir nach. Schlimm. Geschehen war nichts, nur dass Miss Croal und ich nach der Lerngruppe noch ein bisschen quatschten. Ein völlig unbedeutendes Schüler-Lehrer-Gespräch, irgendwas über die Zukunft und was ich machen wollte, wo ich mich selbst in den kommenden Jahren sah. Smalltalk, wie ihn die meisten Lehrer mit ihren älteren Schülern führen. Ich denke, sie fühlten sich mächtig und weltgewandt, wenn sie ihre Worte der Weisheit an uns Küken weitergaben – wirklich ziemlich öde.
    Und dann erhaschte ich mitten in diesem Gespräch aus dem Augenwinkel einen Blick auf Rosie, die zwischen den Stoßstangen zweier Autos hockte. Sie starrte uns einfach nur an, ihr Gesicht gefurcht, wie es Leute machen, die sich anstrengen, um etwas zu hören. Mein erster Gedanke war, sie vor Miss Croals Blick abzuschirmen, weil ich fürchtete, sie könnte alle Beteiligten unnötig in Verlegenheit bringen. Mich vor allem. Ich wollte keinen Konflikt mit Rosie, also ließ ich die Sache auf sich beruhen. Ich brachte das Gespräch zu einem Ende und wies Miss Croals Angebot, mich im Auto mitzunehmen, zurück. Es war für uns alle das Beste.
    Meine größte Enttäuschung über unser Gespräch im Italienischunterricht und den Vorfall mit den Autostoßstangen bestand darin, dass ich geglaubt hatte, Rosie stünde über dem ganzen Bullshit und der Gerüchtemacherei, die an dieser Schule abliefen. Es war eine ihrer anziehendsten Eigenschaften. Ich war wütend, weil sie sich auf das Niveau ihrer Altersgenossen herunter begab. Weil sie sich in das Getratsche hineinziehen ließ, weil sie meine Integrität anzweifelte, weil sie sich vollkommen lächerlich benahm.
    Nachdem das verlogene Gift sich wie ein Lauffeuer im australischen Busch verbreitet hatte, schottete ich mich von den anderen in der Schule ab.

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