Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Als würde sie ohnmächtig beim Klang seiner Stimme.
»Ich bin in Paris. Alles in Ordnung bei Ihnen?«
» Mais oui! Aber Madame ist gerade nicht zu Hause. Sie ist zum Mittagessen. Avec une amie. «
Mit einer Frau also. »Sagen Sie ihr, ich komme heute nachmittag zurück, so gegen vier, hoffe ich. – Spätestens halb sieben«, fügte er hinzu, als ihm einfiel, daß zwischen kurz nach zwei und kurz nach fünf Uhr vom Gare de Lyon keine Züge nach Moret fuhren.
»Soll Madame Héloïse Sie nicht in Paris abholen?«
Das wollte er nicht. Tom ging zu Frank und seinem Kaffee. Der Junge saß an der Theke, eine kaum angerührte Cola vor sich, und spuckte sein Kaugummi in eine leere, zerdrückte Zigarettenschachtel, die er aus einem großen Aschenbecher genommen hatte. »Verzeihung, aber ich hasse Kaugummi. Weiß gar nicht, wieso ich das Zeug gekauft habe. Oder das hier.« Er schob sein Glas weg.
Tom sah zu, wie er sich langsam zur Musikbox unweit der Tür schob, die gerade einen amerikanischen Song auf französisch spielte.
Frank kam zurück. »Zu Hause alles in Ordnung?«
»Denke schon, danke.« Tom fischte Münzen aus der Hosentasche.
»Ist schon bezahlt.«
Sie gingen hinaus. Wieder ließ der Junge den Kopf hängen. Tom sagte nichts.
Wenigstens war Ralph Thurlow jetzt da. Auf Toms Bitte hin hatte Frank am Empfang gefragt. Sie fuhren in einem Lift hinauf, dessen Dekoration Tom an das Bühnenbild einer schlechten Wagner-Inszenierung erinnerte. Der Detektiv winkte den Jungen wortlos, doch enthusiastisch herein. Dann sah er Tom. Thurlows Lächeln gefror, und Frank bat Tom mit einer anmutigen Geste ins Zimmer. Niemand sagte ein Wort, bis die Tür geschlossen war. Der Detektiv – ohne Schlips, die Hemdsärmel hochgekrempelt – war ein bulliger Mann Ende Dreißig mit welligem rötlichen Kurzhaar und einem harten Gesicht.
»Mein Freund, Tom Ripley«, sagte Frank.
»Ralph Thurlow. Bitte setzen Sie sich«, erwiderte Thurlow.
Platz war reichlich, auf Sesseln, Stühlen und Sofas, aber Tom blieb noch stehen. Die Tür zur Rechten war geschlossen, die zur Linken neben den Fenstern stand offen; Thurlow trat in diese Tür und rief nach Johnny. Der dusche gerade, sagte er darauf zu ihnen. Auf einem Tisch Zeitungen und eine Aktentasche, auf dem Boden weitere Zeitungen, ein Kofferradio und ein Kassettenrecorder. Vermutlich war dies das Wohnzimmer, mit Schlafzimmern auf beiden Seiten.
Johnny kam herein, hochgewachsen, ein Lächeln auf den Lippen. Er trug das frische rosa Hemd noch über der Hose. Sein glattes braunes Haar war heller als Franks, das Gesicht schmaler. »Franky!« Er schüttelte dem Bruder kräftig die Hand, hätte ihn fast in die Arme genommen. »Wie geht’s dir? Bist du okay?«
»Bist du okay?« Tom kam sich vor, als habe er mit Zimmer 620 amerikanischen Boden betreten. Er wurde Johnny vorgestellt und schüttelte ihm die Hand. Der Bruder wirkte offen und geradeheraus, jungenhaft, glücklich und unverkrampft, zudem jünger als seine neunzehn Jahre.
Dann kamen sie zur Sache. Tom überließ Thurlow den holprigen Anfang: Der Detektiv richtete Tom Mrs. Piersons Dank aus. Das Geld sei in Zürich eingetroffen, habe die Bank dort gemeldet.
»Bis auf die letzte D-Mark, abzüglich der Bankgebühren«, fuhr er fort. »Mr. Ripley, wir kennen die Einzelheiten nicht, aber…«
Und werden sie nie erfahren, dachte Tom. Er hörte dem Mann kaum noch zu. Zögernd nahm er auf einem beige gepolsterten Sofa Platz und steckte sich eine Gauloise an. Johnny und Frank standen am Fenster und redeten leise aufeinander ein. Der Junge wirkte wütend und angespannt. Hatte Johnny Teresas Namen erwähnt? Tom meinte, so etwas gehört zu haben. Der Bruder zuckte die Achseln.
»Keine Polizei, sagten Sie«, bemerkte der Detektiv. »Sie waren in deren Wohnung. Wie haben Sie das hingekriegt?« Thurlow lachte kurz auf – wie ein harter Kerl zum andern, glaubte er womöglich. »Einfach phantastisch!«
Mr. Thurlow war Tom hundertprozentig zuwider. »Berufsgeheimnis«, sagte Tom. Wie lange würde er das hier aushalten? Er stand auf. »Ich muß weiter, Mr. Thurlow.«
»So rasch, Mr. Ripley?« Der Detektiv stand immer noch. »Wir wollten Sie kennenlernen – Ihnen danken – und haben nicht mal Ihre genaue Adresse!«
Um ihm ein Honorar zu schicken? Tom sagte: »Ich stehe im Telefonbuch. Villeperce, siebenundsiebzig, Département Seine-et-Marne. Frank?«
»Ja, Sir?«
Auf einmal schien der Junge genauso verängstigt wie Mitte August in Belle
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