Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
sie aus. Tom nahm eines der beiden wartenden Taxis. Allmählich lebte er auf – dies war sein Zuhause, er kannte die Häuser, ja sogar die Bäume, die turmbewehrte Brücke über den Loing. Er erinnerte sich an das erste Mal, als er den Jungen hier vor Madame Boutins Haus abgesetzt hatte, an sein Mißtrauen gegen ihn und seine Geschichte, an seine Verwunderung darüber, daß der Junge gerade ihn aufgesucht hatte. Das Taxi rollte durch das offene Tor von Belle Ombre auf den Kies und hielt bei der Vordertreppe. Tom lächelte beim Anblick des roten Mercedes in der Garage; die zweite Garagentür war geschlossen, also war der Renault vermutlich auch da und Héloïse zu Hause. Er bezahlte den Fahrer.
»Bonjour, Monsieur Tomme!« rief Madame Annette von der Treppe. »Und Monsieur Billy – willkommen!«
Billy zu sehen schien sie nicht sonderlich zu überraschen. »Und hier? Alles in Ordnung?« Er küßte sie flüchtig auf die Wange.
»Ja, alles bestens. Aber Madame Héloïse hat sich solche Sorgen gemacht – einen Tag lang oder so. Bitte, treten Sie ein.«
Im Wohnzimmer kam ihm Héloïse entgegen, dann lag sie in seinen Armen. »Endlich, Tomme !«
»War ich so lange weg? – Und hier ist Billy!«
»Hallo, Héloïse. Ich störe Sie schon wieder«, sagte der Junge auf französisch. »Aber nur für eine Nacht. Wenn ich darf.«
»Du störst mich nicht. Hallo.« Sie mußte blinzeln und reichte ihm die Hand.
Ihr Blinzeln verriet Tom, daß sie wußte, wer der Junge war. »Es gibt viel zu erzählen«, sagte Tom gutgelaunt, »doch zuerst will ich die Koffer nach oben bringen. Komm mit –« Er wußte einen Moment lang nicht, wie er den Jungen nennen sollte; deshalb bedeutete er ihm stumm zu folgen, und sie gingen mit dem Gepäck hinauf.
Im Haus roch es nach Orangen und Vanille, woraus Tom schloß, daß Madame Annette gerade am Backen war, denn sonst hätte sie sich die Koffer geschnappt – und er hätte sie ihr wieder abgenommen, weil er es noch immer nicht gern sah, wenn eine Frau einem Mann den Koffer trug.
»Herrgott, ist das schön, wieder zu Hause zu sein!« verkündete er oben im Flur. »Nimm das Gästezimmer, Frank. Das heißt…« Ein kurzer Blick in den Raum zeigte ihm, daß er frei war. »Aber benutze mein Klo. Ich möchte dich sprechen, also komm gleich mal herüber.« Tom ging auf sein Zimmer und nahm ein paar Sachen aus dem Koffer, die er aufhängen oder waschen lassen wollte.
Der Junge kam herein. An seinem bedrückten Gesicht erkannte Tom, daß ihm Héloïses Reaktion nicht entgangen war.
»Na gut, sie weiß es«, sagte Tom. »Aber worum machst du dir Sorgen?«
»Solange sie nicht denkt, ich wäre nichts weiter als ein Lügner…«
»Auch darüber würde ich mir nicht den Kopf zerbrechen. – Ist dieser köstlich duftende Kuchen, oder was immer, für den Tee bestimmt oder für das Abendessen?«
»Und was ist mit Madame Annette?« fragte Frank.
Tom lachte. »Offenbar will sie dich weiter Billy nennen. Aber sie wußte wahrscheinlich eher als Héloïse, wer du bist. Madame Annette liest die Klatschblätter. Wenn du morgen deinen Paß vorzeigst, ist es eh vorbei mit dem Versteckspiel. Was ist los? Schämst du dich etwa? – Gehen wir hinunter. Die Sachen zum Waschen wirfst du einfach hier auf den Boden. Ich sage Madame Annette Bescheid; morgen früh ist alles sauber und trocken.«
Frank kehrte auf sein Zimmer zurück, und Tom ging hinunter ins Wohnzimmer. Ein wunderschöner Tag, die Flügeltüren zum Garten standen offen.
»Natürlich wußte ich es, von den Fotos. Zwei hab ich gesehen«, sagte Héloïse. »Das erste hat Madame Annette mir gezeigt. Warum ist er weggelaufen?«
Gerade kam Madame Annette mit dem Teetablett herein.
»Er wollte eine Weile weg. Hat Amerika mit dem Paß seines älteren Bruders verlassen. Aber morgen fliegt er nach Hause, zurück in die Staaten.«
»Ach ja?« fragte Héloïse überrascht. »Wirklich?«
»Ich habe vorhin seinen Bruder Johnny getroffen – und den Privatdetektiv, den die Familie engagiert hat. In Paris, sie wohnen im Lutetia. Ich hatte seit Berlin Verbindung zu ihnen.«
»Berlin? Ich dachte, du wärst die meiste Zeit über in Hambourg gewesen?«
Der Junge kam die Treppe herunter.
Héloïse schenkte Tee ein. Madame Annette war wieder in der Küche verschwunden.
»Na ja, Eric lebt in Berlin«, sagte Tom. »Eric Lanz, war letzte Woche hier. Setz dich, Frank.«
»Was hattest du in Berlin verloren?« fragte Héloïse, als wäre die Stadt ein militärischer
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