Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
berichtete Tom das Neueste von der Familie: Ihrer Mutter ging es wieder ganz gut; eine Operation war nicht nötig, doch hatte der Arzt ihr Salz und Fett verboten – das altbewährte Rezept der Franzosen, dachte er, wenn der Doktor nicht mehr weiterwußte. Héloïse sagte, sie habe die Eltern am Nachmittag angerufen und wegen Toms Rückkehr das übliche Abendessen abgesagt.
Jetzt tranken sie Kaffee, im Wohnzimmer.
»Ich habe die Platte aufgelegt, die du so magst«, sagte Héloïse zu dem Jungen: Transformer von Lou Reed. »Make Up« hieß der erste Song auf der zweiten Seite:
Your face when sleeping is sublime,
And then you open up your eyes…
Then comes pancake Factor Number One,
Eyeliner, rose lips and lip gloss are such fun!
You’re a slick little girl…
Der Junge ließ den Kopf über dem Kaffee hängen.
Tom suchte nach der Zigarrenkiste, die sonst auf dem Telefontisch stand. Vielleicht war sie leer, und die neuen Zigarren, die er gekauft hatte, lagen oben auf seinem Zimmer. Er sehnte sich nach einer, aber nicht genug, um hinaufzugehen. Tom bedauerte, daß Héloïse diese Platte aufgelegt hatte, weil er wußte, daß der Junge dabei an Teresa denken mußte. Frank schien still zu leiden, und Tom fragte sich, ob er »sich entschuldigen« oder lieber bei ihnen bleiben wollte, trotz der Musik. Vielleicht war der zweite Song leichter zu ertragen:
Sa-tel-lites gone, way up to Mars…
I’ve been told that you’ve been bold
With Harry, Mark and John…
Things like that drive me out of my mind…
I watched it for a little while…
I love to watch things on tv…
Das Lied ging weiter, mit dieser lässigen amerikanischen Stimme und den einfachen, eingängigen Worten, die doch, wenn man sie so verstehen wollte, die Krise eines Menschen beschrieben. Tom bedeutete Héloïse stumm, die Platte abzustellen, und stand aus dem Lehnstuhl auf. »Ich mag das, doch wie wär’s mit Klassik? Vielleicht Albéniz? Das wäre nett.« Sie besaßen eine neue Aufnahme der Iberia mit Michel Block am Klavier, eine Einspielung, die laut den angesehensten Kritikern alle zeitgenössischen Aufnahmen dieses Werks in den Schatten stellte. Héloïse legte die Platte auf. Schon besser! Verglichen mit Reed war dies ein musikalisches Gedicht, doch ohne die Fesseln menschlicher Worte samt ihrer Botschaft. Als sich ihre Blicke kurz kreuzten, sah Tom Dankbarkeit in den Augen des Jungen aufblitzen.
»Ich gehe nach oben«, sagte Héloïse. »Gute Nacht, Frank. Hoffentlich seh ich dich morgen früh noch.«
Er stand auf. »Ja. Gute Nacht, Héloïse.«
Sie ging die Treppe hinauf. Tom spürte, daß ihr frühes Verschwinden ein Signal an ihn war, auch bald heraufzukommen. Natürlich wollte sie ihn weiter ausfragen.
Das Telefon klingelte. Tom stellte die Musik leiser und hob ab: Ralph Thurlow aus Paris, er wollte wissen, ob Tom und der Junge heil angekommen seien – ja, versicherte Tom.
»Ich habe einen Flug für morgen gebucht, 12:45 von Roissy«, sagte Thurlow. »Können Sie dafür sorgen, daß Frank rechtzeitig eintrifft? Ist er im Haus? Ich würde gern mit ihm sprechen.«
Tom sah den Jungen an, doch dessen Geste war eindeutig ablehnend. »Er ist nach oben gegangen. Ich glaube, er schläft schon. Aber ich sorge dafür, daß er nach Paris kommt. Kein Problem. Die Luftlinie?«
» TWA , Flug Nummer 562. Ich glaube, es wäre am einfachsten, wenn Frank morgen zwischen zehn und halb elf ins Lutetia käme. Wir nehmen dann ein Taxi.«
»In Ordnung, das geht.«
»Mr. Ripley, heute nachmittag hab ich nichts davon gesagt, aber Sie hatten doch sicher Auslagen. Lassen Sie mich wissen, wieviel, und ich sorge dafür, daß die Sache erledigt wird. Schreiben Sie mir unter der Adresse von Mrs. Pierson. Frank wird sie Ihnen geben.«
»Danke.«
»Sehen wir uns morgen vormittag? Mir wäre es lieber, wenn Sie den Jungen, äh, bis ins Hotel bringen würden.«
»Gut, Mr. Thurlow.« Beim Auflegen lächelte Tom. Zu Frank sagte er: »Thurlow hat Tickets für morgen, eine Mittagsmaschine. Du sollst gegen zehn im Hotel sein. Das schaffst du leicht, vormittags fahren jede Menge Züge. Ich könnte dich aber auch hinbringen.«
»Ach nein«, lehnte Frank höflich ab.
»Aber du fährst hin?«
»Ja.«
Tom gab sich Mühe, seine Erleichterung zu verbergen.
»Eigentlich wollte ich Sie bitten, mich zu begleiten – aber das wäre wohl zuviel verlangt.« Frank ballte die Fäuste in den Hosentaschen, sein Kinn bebte.
Begleiten wohin, fragte sich Tom. »Setz dich,
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