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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Vorposten oder ein Ort, bei dem kein Tourist jemals auch nur im Traum daran denken würde, ihn zu besuchen.
    »Ach, habe mich nur mal umgesehen.«
    »Freust du dich auf zu Hause, Frank?« fragte Héloïse, als sie ihm ein Stück Orangenkuchen reichte.
    Dem Jungen ging es gerade nicht gut. Tom tat, als bemerke er nichts, stand vom Sofa auf und ging einen Blick auf die Post werfen, die Madame Annette wie üblich neben dem Telefon gestapelt hatte. Nur sechs oder sieben Briefe, ein paar davon anscheinend Rechnungen. Einer von Jeff Constant: Tom war neugierig, öffnete ihn aber nicht.
    »Hast du mit deiner Mutter gesprochen, als du in Berlin warst?« fragte Héloïse weiter.
    »Nein.« Frank schluckte den Bissen herunter, als sei der Kuchen staubtrocken.
    »Und wie war Berlin?« Jetzt sah sie Tom an.
    »Keine Stadt auf der Welt ist so wie Berlin. Was man ja auch von Venedig sagt. Jeder kann tun und lassen, was er will. Stimmt’s, Frank?«
    Der Junge rieb sich mit den Knöcheln das linke Auge und wand sich schweigend.
    Tom gab es auf. »He, Frank, geh nach oben. Schlaf ein bißchen, wirklich. Ich bestehe darauf.« Zu Héloïse sagte er: »Gestern nacht sind wir in Hamburg erst spät ins Bett gekommen, wegen Reeves. – Ich hole dich rechtzeitig zum Essen herunter.«
    Frank stand auf und deutete vor Héloïse eine Verbeugung an. Seine Kehle schien wie zugeschnürt, er bekam kein Wort heraus.
    »Ist was passiert?« flüsterte Héloïse. »Gestern nacht, in Hambourg ?«
    Der Junge war über die Treppe nach oben verschwunden.
    »Ach, Hamburg ist unwichtig. Frank ist entführt worden, in Berlin. Vergangenen Sonntag. Erst in der Nacht auf Dienstag hab ich ihn gefunden. Die haben dem Jungen –«
    »Entführt?«
    »Ich weiß, es stand nicht in den Zeitungen. Die Kidnapper haben ihm eine Menge Tranquilizer gegeben, und die Auswirkungen spürt er immer noch.«
    Héloïse blinzelte wieder, aber anders als vorher. So weit hatte sie die Augen aufgerissen, daß Tom die dünnen, dunkelblauen Radialen sah, die von den Pupillen über die blaue Iris ausstrahlten. »Nein, nichts hab ich davon gehört, kein Wort. Hat seine Familie Lösegeld bezahlt?«
    »Nein. Na ja, schon, aber das Geld wurde nicht übergeben. Ich erzähle dir das irgendwann, wenn wir allein sind. Du erinnerst mich gerade an den Drückerfisch im Berliner Aquarium. Ein unglaublicher kleiner Bursche! Hab ein paar Postkarten von ihm, ich zeige sie dir. Wimpern hat der – als hätte sie jemand rund um die Augen aufgemalt. Lange, schwarze Wimpern!«
    »Meine sind nicht lang und schwarz. – Tom, diese Entführung: Was meinst du damit, du hättest ihn gefunden?«
    »Die Einzelheiten ein andermal. Wir sind unverletzt, das siehst du ja.«
    »Und seine Mutter? Weiß sie davon?«
    »Ließ sich nicht vermeiden, weil das Geld ja aufgebracht werden mußte. Ich habe davon nur angefangen, damit du verstehst, warum der Junge heute ein bißchen seltsam wirkt. Er ist –«
    »Sehr eigenartig. Warum ist er überhaupt weggelaufen? Weißt du das?«
    »Nein, eigentlich nicht.« Tom wußte nur, daß er Héloïse niemals verraten würde, was ihm der Junge erzählt hatte. Sie brauchte nicht alles zu wissen, und er kannte die Grenze genau, wie den Markierungsstrich auf einer Skala.

19
     
    Jeff Constants Brief beruhigte Tom, denn Jeff versprach ausdrücklich, dafür zu sorgen, daß sie die erst halb fertigen oder völlig mißlungenen Skizzen des Mannes, der nach Bernard Tufts die Derwatts gefälscht hatte, »zerreißen« würden. Diese Versuche eines Schmierfinks schienen kein Ende zu nehmen. Tom hatte im Gewächshaus nach dem Rechten gesehen, eine reife Tomate gepflückt, die Madame Annettes Aufmerksamkeit entgangen sein mußte, geduscht und saubere Jeans angezogen. Außerdem hatte er Héloïse geholfen, einen Kleiderständer zu polieren, den sie erst kürzlich gekauft hatte. An dessen Spitze sprangen gekrümmte Holzhaken hervor, die Tom an die Hörner amerikanischer Westernrinder erinnerten. Zu seiner Überraschung kam das Ding, wie Héloïse ihm gesagt hatte, tatsächlich aus Amerika, und das dürfte den Preis (den Tom gar nicht wissen wollte) noch höher getrieben haben. Ihr gefiel der Kleiderständer, weil er mit seiner amerikanischen Variante des style rustique in Belle Ombre komisch wirkte.
    Gegen acht rief Tom den Jungen zum Essen herunter und öffnete zwei Bierflaschen für sie beide. Frank hatte nicht lange geschlafen, doch hoffentlich wenigstens kurz geschlummert. Héloïse

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