Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
entkommen«, sagte Tom leise. »Und morgen erhält die nette alte Dame einen Brief – ungefähr so: Du hättest am Abend deine Familie angerufen, müßtest sofort zurück in die Staaten. Etwa in der Art. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
Frank drückte den Regenmantel hinunter und klappte den Koffer zu.
Tom nahm seine Taschenlampe vom Tisch. »Sekunde noch, ich will nachsehen, ob sie zurückgekommen sind.«
Tom schlich über den frischgemähten Rasen zum Tor. Ohne Licht sah er nur knapp drei Meter weit, doch die Taschenlampe wollte er nicht benutzen. Immerhin, vor dem Haus stand kein Auto. Ob sie um die Ecke warteten, bei seinem Wagen? Kein schöner Gedanke. Beide Tore waren verschlossen, er konnte also nicht sofort nachsehen. Tom kehrte zu Frank zurück, der schon mit dem Koffer dastand, bereit zum Aufbruch. Er schloß die Tür ab, ließ den Schlüssel stecken, und sie gingen zum Tor.
»Warte mal kurz hier«, sagte Tom, als Frank aufgeschlossen hatte. »Ich will einen Blick um die Ecke werfen.«
Frank stellte den Koffer ab und wollte schon mitkommen, so nervös war er, doch Tom stieß ihn zurück, zog das Tor hinter sich zu und ging zur Straßenecke. Er fühlte sich einigermaßen sicher, denn hinter ihm waren die beiden Männer bestimmt nicht her.
Nur sein Wagen war zu sehen, und das beruhigte ihn. In diesem Ort hatten die Leute Garagen, niemand parkte am Bordstein. Tom hoffte nur, daß die beiden Männer sich nicht sein Kennzeichen gemerkt hatten, sonst könnten sie nämlich über die Polizei Namen und Adresse herausfinden, indem sie sich irgend etwas ausdachten, ein Verkehrsvergehen etwa oder eine Beleidigung. Er ging zu Frank zurück, der noch hinter dem Tor wartete, winkte ihm, und der Junge kam heraus.
»Was soll ich mit dem Schlüssel machen?« fragte er.
»Wirf ihn über das Tor«, flüsterte Tom. Frank hatte hinter sich abgeschlossen. »Wir schreiben es ihr morgen in dem Brief.«
Sie gingen um die Ecke – Frank trug den Koffer, Tomeine kleine Reisetasche – und stiegen in den Wagen. Ein sicherer Hafen, so kam es Tom vor, kaum daß sie die Türen zugezogen hatten. Er konzentrierte sich auf die Fahrt durch Moret, denn er wollte den Ort auf einer anderen Route verlassen. Soweit er sehen konnte, folgte ihnen niemand. Im Ortszentrum jenseits der alten Brücke mit den vier Türmen brannten noch einige wenige Lichter; eine Bar schloß gerade, und zwei, drei Autos fuhren vorbei, ohne ihn zu beachten. Tom nahm die breite N 5 und bog bald nach rechts ab, auf eine Landstraße, die erst nach Obélique führte, einem winzigen Dorf, und irgendwann nach Villeperce.
»Keine Sorge«, sagte Tom. »Ich weiß, wie ich fahren muß. Und verfolgen werden die uns nicht, denke ich.«
Der Junge wirkte gedankenverloren.
Seine kleine Welt bei Madame Boutin war zerstört, dachte Tom, und Frank wußte nicht, was nun werden sollte. »Ich muß Héloïse sagen, daß du bei uns schläfst«, sagte Tom. »Doch vor ihr bleibst du Billy Rollins. Ich werd ihr erzählen, daß du für uns im Garten arbeiten willst und…« (wieder sah er in den Rückspiegel) »…daß du eine Aushilfsarbeit suchst. Mach dir keine Sorgen.« Er warf einen Blick auf den Jungen: Frank starrte durch die Windschutzscheibe und biß sich auf die Unterlippe.
Sie waren zu Hause: Tom sah den sanften Schein von Belle Ombres Hoflaterne, die Héloïse für ihn hatte brennen lassen. Er fuhr durch das offene Tor in die Garage rechts vom Haus. Héloïse hatte den roten Mercedes rechts geparkt. Tom stieg aus, bat Frank, einen Moment zu warten, holte den großen Schlüssel unter dem Rhododendron hervor und schloß das Tor ab.
Frank stand schon mit Koffer und Reisetasche neben dem Wagen. Im Wohnzimmer brannte eine Lampe. Tom schaltete das Licht auf der Treppe an, das im Wohnzimmer aus, ging zurück und winkte Frank herein. Oben wandten sie sich nach links. Tom machte im Gästezimmer Licht. Héloïses Tür war geschlossen.
»Fühl dich wie zu Hause«, sagte er zu dem Jungen. »Das hier ist der Schrank…« Er öffnete eine cremeweiße Tür. »Und das die Kommode. Nimm heute nacht mein Bad, das da ist nämlich Héloïses. Ich werde wohl noch eine Stunde wach sein.«
»Vielen Dank.« Frank hatte seinen Koffer auf die kurze Eichenbank vor einem der beiden Betten gelegt.
Tom ging auf sein Zimmer, schaltete das Licht an, auch in seinem Bad. Dann erlag er der Versuchung, trat an das Fenster zur Straße, dessen Vorhänge Madame Annette zugezogen hatte, und spähte
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