Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
hing ein blaues Arbeitshemd. Am anderen Ende ein Waschbecken und ein kleiner Holzofen, ein Papierkorb und ein Handtuchhalter. Oben auf einem Regal ein nicht mehr ganz neuer brauner Lederkoffer, darunter eine Kleiderstange, etwa einen Meter lang. Tom sah ein paar Hosen, Jeans und einen Regenmantel.
»Sitzt sich bequemer auf dem Bett als auf dem Stuhl hier«, sagte Frank. »Ich kann Ihnen Nescafé anbieten, hab aber nur kaltes Wasser.«
Tom lächelte. »Du brauchst mir gar nichts anzubieten. Ich finde dein Zimmer durchaus – angemessen.« Die Wände wirkten frisch gestrichen, von Frank vielleicht. »Und das da ist hübsch«, sagte Tom. Ein Aquarell auf weißer Pappe war ihm aufgefallen (Pappe von der Rückseite eines Schreibblocks), das auf Franks Nachttisch an der Wand lehnte. Auf dem Tisch, einer Holzkiste, stand auch ein Glas mit einer roten Rose und ein paar Wildblumen. Das Aquarell zeigte das Tor, durch das sie gerade gekommen waren, doch nun standen die Flügel ein Stück weit offen. Klar und kühn war es, roh und wie hingeworfen.
»Ach das, ja. In der Tischschublade habe ich Tusche gefunden, für Kinder.« Der Junge schien jetzt eher schläfrig als angetrunken.
»Ich werde mal gehen«, sagte Tom, die Hand schon auf dem Türknauf. »Ruf mich wieder an, wenn du willst.« Er hatte die Tür schon halb geöffnet, als in Madame Boutins Haus gleich gegenüber, etwa zwanzig Meter weiter, ein Licht anging.
Auch Frank hatte es gesehen. »Was ist denn jetzt?« fragte er gereizt. »Wir waren doch ganz leise.«
Tom wollte schon weglaufen, doch dann meinte er plötzlich, Schritte in der Stille zu hören, auf Kies und schon recht nahe. »Ich versteck mich im Gebüsch«, flüsterte er und schlich dabei schon nach links davon, wo es dunkel war – in den Schatten der Gartenmauer oder eines Baumes.
Die alte Dame leuchtete sich den Weg mit dem schwachen, bleistiftdünnen Lichtstrahl einer Taschenlampe. »C’est Billy?«
»Mais oui, Madame!« erwiderte Frank.
Tom hockte rund sechs Meter vom Gartenhaus, eine Hand auf dem Boden. Madame Boutin sagte, gegen zehn seien zwei Männer gekommen und hätten nach ihm gefragt.
»Nach mir? Wer denn?« fragte Frank.
»Ihre Namen haben sie nicht genannt. Sie wollten meinen Gärtner sprechen, sagten sie. Fremde Männer! Seltsam, fand ich – um zehn Uhr abends einen Gärtner besuchen zu wollen!« Madame Boutin klang mißmutig und argwöhnisch.
»Ist nicht meine Schuld«, sagte Frank. »Wie sahen sie aus?«
»Ach, ich habe nur einen sehen können. Etwa dreißig war der. Er fragte, wann Sie zurück wären. Wie sollte ich das wissen?«
» Pardon, Madame, daß die Sie gestört haben. Ich suche keine andere Arbeit, da können Sie sicher sein.«
»Das will ich hoffen! Ich mag es gar nicht, wenn solche Leute bei mir klingeln, noch dazu nachts.« Dann wandte sie sich zum Gehen, eine kleine, gebückte Gestalt. »Ich halte meine beiden Tore stets verschlossen. Aber ich bin den ganzen Weg zum Eingangstor gegangen, nur um mit ihnen zu reden.«
»Wir sollten die Sache vergessen, Madame Boutin. Tut mir leid.«
»Gute Nacht, Billy, und schlafen Sie gut.«
»Danke, gleichfalls, Madame!«
Tom wartete, bis sie das Haus erreicht hatte. Er hörte Frank seine Tür schließen, dann endlich auch Madame Boutins Schlüssel im Schloß, hörte das leise Quietschen eines zweiten Schlüssels, dann ein dumpfes Klappern, als rasch ein Riegel vorgeschoben wurde. Oder war sie noch immer nicht fertig? Keine Schließgeräusche mehr, aber Tom wartete ab. Ein Licht ging an im ersten Stock, ein trüber Schein durch Milchglasscheiben. Dann erlosch es. Frank wartete offenbar darauf, was er selber tun würde – Tom fand das klug von dem Jungen. Er kroch aus den Büschen, ging zur Tür des Häuschens und klopfte, nur mit den Fingerspitzen.
Frank öffnete die Tür einen Spaltweit; Tom schlüpfte hinein.
»Hab alles mitgehört«, flüsterte er. »Ich glaube, du mußt weg. Heute nacht noch.«
»Meinen Sie wirklich?« fragte der Junge erschrocken. »Ich weiß, ich weiß, Sie haben recht.«
»Los, pack deine Sachen. Über Nacht bleibst du bei mir, und morgen sehen wir weiter. Ist das dein einziger Koffer?« Tom holte ihn von dem hohen Regal, klappte ihn auf dem Bett auf.
Sie arbeiteten zügig. Tom reichte Frank die Sachen: Hosen, Hemden, Sportschuhe, Bücher, Zahnbürste und Zahnpasta. Der Junge hielt den Kopf gesenkt; Tom spürte, daß er den Tränen nah war.
»Kein Grund zur Sorge, wenn wir den Typen heute nacht
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