Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
heute den Wagen brauchte – der Mercedes stand noch bei den Grais. Frank schien glücklich, er hatte den Kopf zurückgelehnt. Der Wind wehte durch das offene Fenster. Tom legte eine Kassette ein, zur Abwechslung Mendelssohn.
»Hier parke ich immer. Mitten in der Stadt ist es lästig.« Tom hatte an einem Parkhaus nahe der Porte d’Orléans gehalten. »Gegen achtzehn Uhr bin ich zurück«, teilte er dem Wächter, den er vom Sehen kannte, auf französisch mit. Tom fuhr durch die Schranke des Tors, das automatisch einen Parkschein mit der aufgedruckten Ankunftszeit ausspuckte. Dann nahmen sie ein Taxi. »Zur Avenue Gabriel, bitte«, sagte Tom zum Fahrer. Er wollte nicht direkt vor der Botschaft aussteigen und hatte den Namen der Querstraße zur Avenue Gabriel vergessen, in der das Fotostudio lag. Wenn sie das Viertel erreichten, würde er den Fahrer halten lassen.
»Das ist das Leben: Mit Ihnen im Taxi durch Paris!« sagte Frank. Er träumte noch immer – von was? Freiheit? Der Junge wollte unbedingt das Taxi zahlen. Aus der Innentasche von Toms altem Blazer zog er seine Brieftasche.
Was enthielt sie wohl außer Geld, fragte sich Tom – nur für den Fall, daß man den Jungen durchsuchen würde? Tom bat den Fahrer, in der gesuchten Querstraße zu halten, gleich hinter der Kreuzung mit der Avenue Gabriel. »Dort ist der Laden.« Er zeigte auf ein kleines Schild vor einem Eingang zwanzig Meter weiter. »Marguerite oder so heißt er. Ich bleibe lieber draußen. Den Leberfleck sieht man nicht, aber faß ihn nicht an. Fahr dir durchs Haar… Ein kleines Lächeln vielleicht. Schau nicht so ernst!« Tom sagte das, weil der Junge tatsächlich meist ernst wirkte. »Du wirst unterschreiben müssen. Nimm irgendwas, Charles Johnson zum Beispiel. Man wird dich nicht nach einem Ausweis fragen. Das weiß ich, denn ich habe das hier neulich selbst durchexerziert. Alles klar?«
»Ja, Sir. Okay.«
»Ich warte dort drüben.« Tom zeigte auf ein bar-café gegenüber. »Komm dahin, denn du mußt eine Stunde auf die Bilder warten, werden sie sagen. Doch eigentlich ist es eher eine Dreiviertelstunde.«
Dann ging er zur Avenue Gabriel und nach links in Richtung Place de la Concorde, weil er wußte, daß dort ein Zeitungskiosk war. Er kaufte Le Monde, den Figaro und Ici Paris, ein bunt aufgemachtes Skandalblatt mit farbiger Titelseite: Blau, Grün, Rot und Gelb. Auf dem Weg zurück zum Café sah er auf einen Blick, daß Ici Paris Christina Onassis’ Blitzheirat mit einem russischen Proleten eine ganze Seite gewidmet hatte, ebenso dem angeblichen neuen Begleiter von Prinzessin Margaret, einem italienischen Bankier, der ein paar Jahre jünger sein sollte als sie (wahrscheinlich eine Ente). Alles Sex, wie gewohnt: Wer es mit wem trieb, wer es bald treiben könnte, wer mit wem Schluß gemacht hatte. Tom setzte sich, bestellte einen Kaffee und sah jede Seite des Blattes durch, fand aber nichts über Frank. Natürlich nicht, da fehlte der Sex. Die vorletzte Seite war voller Anzeigen, die den richtigen Partner verhießen – »das Leben ist kurz, machen Sie jetzt Ihre Träume wahr!« –; andere warben mit Abbildungen für diverse aufblasbare Gummipuppen zu Preisen von 59 bis 390 Franc, die Puppen kämen neutral verpackt und könnten alles. Tom fragte sich, wie man sie aufblasen sollte. Ein Mann käme dabei völlig außer Atem, und was würden andererseits seine Haushälterin oder die Freunde sagen, wenn sie in seiner Wohnung eine Luftpumpe sähen, aber kein Fahrrad? Noch komischer wäre es, wenn der Mann die Puppe einfach in die Autowerkstatt brächte, in seinem Wagen, und den Mechaniker bäte, sie für ihn aufzublasen. Und was, wenn die Haushälterin des Mannes die Puppe im Bett fände und sie für eine Leiche hielte? Oder einen Schrank öffnete und die Puppe fiele heraus? Bestimmt konnte ein Mann auch mehr als eine kaufen – eine Puppe als seine Frau, zwei oder drei als Geliebte – und so in der Phantasie ein ganz schön wildes Leben führen.
Der Kaffee kam, Tom zündete sich eine Gauloise an. In Le Monde fand er nichts, ebenso im Figaro. Was, wenn die französische Polizei einen Mann im Fotoladen postiert hatte, der nach Frank Pierson und anderen gesuchten Personen Ausschau halten sollte? Wer gesucht wurde, mußte sich oft falsche Ausweispapiere besorgen.
Frank kam lächelnd zurück. »Eine Stunde, meinten die. Genau wie Sie sagten.«
»Gut.« Der Leberfleck des Jungen war immer noch nicht zu sehen; sein Haar stand hoch. »Du hast
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