Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
und gab ihn Tom.
Auf den Bildern sah er anders aus als auf dem Foto im France-Dimanche, das Tom gesehen hatte: das Haar zerzaust, das vage Lächeln, wie Tom es vorgeschlagen hatte, vom Muttermal nichts zu sehen, doch Augen und Stirnpartie unverändert. Ein sorgfältiger Vergleich der Fotos würde natürlich ergeben, daß beide denselben Jungen zeigten.
»Besser ging es nicht«, sagte Tom. »Und jetzt rufen wir uns ein Taxi.«
Der Junge hatte sich mehr Lob erhofft, das sah er. Durch schieres Glück fanden sie noch kurz vor der Place de la Concorde ein freies Taxi. Tom steckte ein Foto in den an Minot adressierten Briefumschlag und klebte ihn erleichtert zu. Er hatte den Fahrer gebeten, sie zum Beaubourg zu bringen; in der Nähe mußte es einen Imbiß und einen Briefkasten geben. Beides fand er nur wenige Meter von den ausgestülpten Wülsten des Centre Pompidou.
»Erstaunlich, nicht?« Tom meinte das blaue, monströse Äußere des Museums. »Ich finde es häßlich, von außen zumindest.«
Das Ding sah aus, als habe jemand viele lange blaue Ballonwürste prall aufgeblasen und umeinander geschlungen. Etwas daran erinnerte eindeutig an Abflußrohre, doch ob die drei Meter dicken Ballonröhren Luft oder Wasser enthielten, konnte man nicht einmal raten. Wieder mußte Tom an die aufgeblasenen Sex-Puppen denken und stellte sich vor, wie eine Puppe unter einem Mann platzte, was bestimmt gelegentlich vorkam. Was für eine Enttäuschung! Tom biß sich auf die Lippe, um nicht laut loszulachen. In einem bar-café-tabac aßen sie ein mittelmäßiges Steak mit Pommes frites; in den gelben Briefkasten davor hatte Tom seinen Eilbrief geworfen. Nächste Leerung um 16:00 Uhr.
In der Ausstellung »Paris-Berlin« schien Emil Noldes Tanz um das Goldene Kalb den Jungen am meisten zu beeindrucken: drei, vier vulgäre Frauen, eine davon splitternackt, die wild und enthemmt tanzten. »Das Goldene Kalb – es steht für Geld, oder?« Frank war wie betäubt, sein Blick glasig von allem, was er gesehen hatte.
»Geld, ja«, sagte Tom. Nicht gerade eine Ausstellung, die einen ruhig stimmte, außerdem war Tom angespannt, weil er sich ab und zu nach Johnny Pierson und dem Detektiv umsehen mußte. Merkwürdig, dieser Versuch, die Kommentare der Künstler über die deutsche Gesellschaft der Zwanziger in sich aufzunehmen – Plakate aus dem Ersten Weltkrieg gegen den Kaiser, Bilder von Kirchner, Porträts von Otto Dix, dazu dessen brillantes Drei Dirnen auf der Straße – und sich zugleich den Kopf wegen zweier Amerikaner zu zerbrechen, die plötzlich auftauchen und seinem Vergnügen ein Ende setzen könnten. Zum Teufel mit den beiden, dachte Tom, und zu Frank sagte er: »Du hältst die Augen offen – nach deinem Bruder, du weißt schon. Ich würde das hier gern genießen.« Ziemlich harsch klang das, doch die Gemälde ringsum waren wie stumme Musik in Toms Ohren, oder wenigstens in seinen Augen. Ah, die Beckmanns!
»Mag dein Bruder Kunstausstellungen?« fragte er.
»Weniger als ich. Aber ja, schon.«
Nicht sehr ermutigend. Frank stand wie gebannt vor einer Kohlezeichnung, der Innenansicht eines Raumes, links hinten ein Fenster, im Vordergrund eine männliche Gestalt in verkrampfter Haltung, wie gefesselt. Die perspektivische Darstellung von Wänden und Boden hatte etwas Beengendes. Vielleicht keine brillante Zeichnung, doch die Überzeugungskraft des Künstlers, seine geistige Intensität, war nicht zu übersehen. Der Raum, was es auch war, wirkte wie ein Gefängnis. Tom verstand, warum der Junge davon nicht wegkam. Er mußte ihm die Hand auf die Schulter legen, damit Frank sich losreißen konnte.
»Tut mir leid.« Er schüttelte kurz den Kopf und blickte zu den beiden Ausgängen des Raumes, in dem sie standen. »Mein Dad hat uns oft in Ausstellungen mitgenommen. Er mochte die Impressionisten. Vor allem die Franzosen: Schneestürme in den Straßen von Paris. Wir haben davon zu Hause einen Renoir. Von einem Schneesturm, meine ich.«
»Das ist also eine gute Seite deines Vaters – er mochte Gemälde. Und er konnte sie sich leisten.«
»Na ja, klar. Ich meine, solche Bilder – ein paar hunderttausend Dollar…« Als sei das nichts. »Mir fällt auf, daß Sie immer versuchen, etwas Nettes über meinen Vater zu sagen.« Ein schwacher Vorwurf schwang in Franks Worten.
Tat er das? Die Ausstellung löste allerhand Gefühle in dem Jungen aus. »De mortuis nihil…« Tom zuckte die Achseln.
»Ob er Renoirs kaufen konnte? Klar.« Frank reckte
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